Der digitale Bürger – Fluch oder Segen?

Sie haben ein schmutziges Nummernschild.

Stell Dir vor, Du fährst mit einem Auto. Während Du fährst fällt einem Polizeibeamten im Auto hinter Dir auf, dass Dein Nummernschild schmutzig ist. Statt Dich anzuhalten, überprüft der Polizist Deine Daten und Deinen Führerschein online und beschließt, Dich nicht anzuhalten. Als Du an Deinem Bestimmungsort ankommst, sichtest Du Deine Daten und erfährst nicht nur, dass ein Polizist auf diese zugegriffen hat, sondern auch den Grund für den Zugriff.

Wie fühlt sich diese kleine Geschichte für Dich an:

  1. Komisch. Ich fühle mich gläsern und möchte nicht, dass jederzeit durch den Staat auf meine Daten zugegriffen werden kann.
  2. Fantastisch. Ich habe die volle Kontrolle über meine Daten und das System ermöglicht es uns, Zeit und Geld zu sparen. Obwohl mich der Polizist nicht angehalten hat, weiß ich, was das Problem war und kann mein Nummernschild reinigen.
  3. Utopisch. Kein Staat würde so ein System einführen, und Bürger würden es nicht akzeptieren.

Wenn Du Punkt 3 für Dich gewählt hast, wird Dich dieser Artikel sicherlich interessieren, denn dieses utopische System ist laut

Andrew Keen: How to fix the future. Fünf Reparaturvorschläge für eine menschlichere digitale Welt

in Estland bereits real, und der geschilderte Vorfall ist genauso passiert.

Der digitale Bürger – Warum vertrauen die Esten dem digitalen Ausweissystem?

Deine Steuern verwaltest Du digital.

95 % aller Esten haben den obligatorischen elektronischen Ausweis. Dieser ermöglicht den Zugang zu mehr als 4.000 Dienstleistungen, darunter Steuern und Wahlen. In beeindruckender Weise zeigt das kleine nicht gerade reiche Estland seinen Nachbar in der EU, wie ein System gebaut werden kann, in dem der Bürger digital ist und dem System vertraut.

Wir vertrauen dem System, weil es nicht missbraucht wurde.

Dass die Esten ihrem Staat in Sachen digitaler Bürger vertrauen liegt laut unserem Autor daran, dass der wichtigste Aspekt des estnischen Ausweissystems Vertrauen ist, und Estland sich mit diesem System darum bemüht, eine Vertrauensökonomie zu erschaffen. Der Hauptgrund für das Vertrauen in das System ist, dass die Bürger noch nie erlebt haben, dass das System missbraucht wurde. Der estnische Bürger hat die volle Kontrolle über seine Privatsphäre und kann jederzeit – wie im Beispiel mit dem Nummernschild – sehen, wer wann auf seine Daten zugegriffen hat. Damit das System dauerhaft vertrauensvoll funktionieren kann, ist es allerdings wichtig, dass die Bürger in Estland die Verantwortung übernehmen und ihre Daten aktiv kontrollieren.

Die Technologie, die in Estland eingesetzt wird, schafft – laut unserem Autor – Vertrauen und ist transparent. Behörden haben Zugriff auf Daten der Bürger, und Bürger haben das Recht zu wissen, auf welche Daten Behörden zugreifen. Das estnische Ziel lautet: Der Staat soll abhängig von den Bürgern sen.

Der Digitale Bürger – Vertrauen und reale Daten

Stimmt das?

An einer Stelle schreibt unser Autor, dass die Esten deutlich mehr Vertrauen in den Staat haben als die Durchschnittsbürger der Europäischen Union. Da ich mich bemühe, Daten nicht mehr blind zu vertrauen, habe ich diese überprüft und festgestellt, dass unser Autor recht hat, wenn er schreibt, dass 2014 ganze 51 % der Esten ihrem Staat vertrauten. Lediglich Bürger Maltas und Schwedens vertrauten 2014 ihrem Staat mehr als die Esten, und diese haben meines Wissens keinen digitalen Ausweis. Allerdings erzielte kein Staat in der Europäischen Union im November 2014 einen Wert über 60 %:

  1. Malta 56 %
  2. Schweden 54 %
  3. Estland 51 %

Im November 2019 schauen diese Daten schon anders aus. Estlands Wert liegt nur noch bei 43 %. Die drei Topländer in Sachen Bürgervertrauen sind nun:

  1. Luxemburg 68 %
  2. Türkei 66 %
  3. Dänemark 63 %
So aufbereitete Daten sind ein Geschenk.

Ich habe die Daten auf der Seite stichprobenartig durchsucht und festgestellt, dass die Vertrauenswerte in Estland von Zeit zu Zeit zum Teil stark schwanken. Die Daten als Beleg für das Vertrauen der estnischen Bürgen in ihren digitalen Staat heranzuziehen, fällt mir daher etwas schwer. Doch da ich nicht sehr gut mit Daten bin, solltest Du Dir an dieser Stelle am besten einen eigenen Eindruck verschaffen. Die interaktiven Balkendiagramme auf der Seite sind wirklich sehr intuitiv bedienbar.

Spannend an den Zahlen aus 2014 ist laut unserem Autor, dass lediglich 13 % der Esten ihren politischen Parteien vertrauen. Solltest Du eine Idee haben, wie sich das erklären lässt, freue ich mich sehr darüber, wenn Du sie mit mir teilst.

Fazit

Als mir die Geschichte des digitalen Bürgers in Estland das erste Mal begegnete war ich Feuer und Flamme. Als Digital Transformation Manager finde ich solche Bespiele genial, da sie zeigen, was möglich ist und welche positive Kraft und welches Potenzial in der Digitalisierung steckt.

Wir testen hier Kameras mit Gesichtsüberwachung.

Doch als ich über den digitalen Bürger in Deutschland nachdachte wurde ich nachdenklich. Ich erinnere mich noch sehr gut an den Moment, als ich am Bahnhof Südkreuz in Berlin ein Schild entdeckte, das mich darüber informierte, dass hier ein großer Test liefe, bei welchem Kameras zur Gesichtserkennung eingesetzt würden. Diese Informationen waren für mich nicht hilfreich und weil ich nicht wusste, welches Ziel diese Kameras in Zukunft verfolgen werden, beschloss ich, den Bahnhof für den Testzeitraum nur noch mit Schal vor dem Gesicht und mit tief ins Gesicht gezogener Fellmütze zu betreten.

Irgendwas ist hier schief mit meiner Wahrnehmung, oder?

An dieser Stelle frage ich mich nun, woran es liegt, dass mich das digitale System in Estland begeistert und mich Kameras zur Gesichtserkennung in Deutschland eher aufschrecken lassen. Liegt es daran, dass ich dem deutschen System nicht vertraue, oder doch eher daran, dass die Informationen dieses Tests nicht transparent genug für mich waren? Oder sind die beiden Dinge einfach zu unterschiedlich, um verglichen zu werden? Für mein Gefühl ist der Staat in Deutschland (noch) nicht sehr digital. An vielen Stellen habe ich das unbestimmte Gefühl, dass der Staat in Deutschland digitale Instrumente mehr zu seinem Nutzen, als zum Nutzen seiner Bürger einsetzt. Das einzige konkrete Beispiel, das mir allerdings einfällt, ist meine Ausweisbeantragung, für die ich extra aufs Bürgeramt musste, weil laut Aussage meines Ansprechpartners eine digitale Unterschrift nötig ist. Vor Ort leistete ich dann allerding eine Unterschrift auf Papier. Dies ist kein dramatisches Ereignis, allerdings sorgt es nicht unbedingt dafür, dass mein Vertrauen in die Digitalisierung in unserem Land gestärkt wurde.

Gemeinsam können wir das Datenmanagement rocken.

Ob der digitale Bürger in Deutschland ein Fluch oder Segen ist bzw. wird, kann ich aktuell noch nicht sagen. Allerdings habe ich das Gefühl, dass er ein Segen werden kann, wenn wir dafür sorgen, dass wir die richtigen Zeichen setzen und dafür sorgen, dass Vertrauen und Transparenz die Grundlage eines solchen Systems sind. Doch auch wir als Bürger haben einen Beitrag zu einem solchen System zu tragen. Nur wenn wir die Verantwortung für das Management unserer Daten übernehmen und nicht einfach nur blind vertrauen, kann das System langfristig funktionieren.

An dieser Stelle bin ich nun gespannt, wie es Dir mit der Vorstellung des digitalen Bürgers in Deutschland geht. Hast Du ein gutes Gefühl dabei? Hast Du Beispiele dafür, wo die Digitalisierung Dir die Zusammenarbeit mit dem Staat erleichtert hat? Und mit diesen Fragen verabschiede ich mich und wünsche Dir einen fantastischen Start in den Tag.

28. August 2020
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Ein Männchen mit vier Armen wirbelt 8 Bücher durch die Luft.
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28. August 2020
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  1. Maria von du-bist-grossartig.de 24. März 2023 at 08:03 - Reply

    Am Anfang des Beitrages kommt die Gesichtsüberwachung zur Sprache, die am Berliner Sudbahnhof getestet wurde. In dem Buch Stefan Fichtel: Praxisbuch Infografik bin ich gerade über die Ergebnisse des damaligen Testes gestolpert. Die Polizei war laut https://www.heise.de/newsticker/meldung/Europaeischer-Polizeikongress-Bundespolizei-lobt-Gesichtserkennung-am-Berliner-Suedkreuz-3961679.html mit den Ergebnissen nicht unzufrieden.

    Anders sieht es bei den Menschen aus, die sich detailliert mit den Ergebnissen beschäftigt haben. Einer kommt zu dem Ergebnis, dass an einem einzigen Tag 300 Menschen fälschlicherweise als Terroristen identifiziert werden.

    Ergebnis als Text: https://www.heise.de/forum/heise-online/News-Kommentare/Europaeischer-Polizeikongress-Bundespolizei-lobt-Gesichtserkennung-am-Berliner-Suedkreuz/Statistik-Rechnung-und-Grafik-Link-inside/posting-31827050/show/

    Ergebnis als Grafik: https://www.docdroid.net/file/view/90ky3p0/gesichtserkennung-berlin-suedkreuz-din-a4.jpg

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