Weißt Du was Linguistic Style Matching ist?
Wenn ich gefragt werde, was ich mache, antworte ich „Ich bin Blogger und Sketchnoter.“ Bei diesen Worten läuft es wahrscheinlich vielen Frauen und Menschen in Konzernen kalt den Rücken runter. Denn mit diesem Satz ignoriere ich die Geschichte mit dem Gendern. Gendern ist in einer so bunten Stadt wie Berlin ein großes Thema, doch mir geht es einfach auf den Keks. In meiner Wahrnehmung richtet das Gendern die Aufmerksamkeit auf das Thema, das es zu überwinden versucht. Das Gendern betont in meinen Ohren den Unterschied zwischen Mann und Frau. Besonders absurd finde ich dabei das Gendersternchen, bei dem männliche Worte durch ein kleines Sternchen auch in ihrer weiblichen Form niedergeschrieben werden. Aus Lehrer wird dank Gendersternchen
Lehrer*innen
Wenn ich das sehe rollen mir die Augen in den Hinterkopf. Dank Gendersternchen visualisieren wir in meiner Wahrnehmung nicht nur die Spaltung, die wir überwinden wollen, wir visualisieren auch noch, dass das männliche Wort den Inhalt – in unserem Fall Lehrer – liefert und die weibliche inhaltslose Silbe mit Abstand hinten ansteht. Da macht mich fertig. Doch offenbar bin ich der einzige Mensch auf der Welt, dem es so zu gehen scheint. Zu meinem Glück bin ich eine Frau und daher empfinden es manche Menschen bedauerlich, dass ich nicht gendere, aber zumindest werfen sie mir keine Diskriminierung vor. Wäre ich ein Mann, würde ich wahrscheinlich gendern müssen.
Wie Du siehst bin ich kein Freund des Genderns. Doch letztens passierte mir etwas Unbeschreibliches: Ich stellte mich einer Gruppe von Menschen vor und sagte, ich sei „Bloggerin und Sketchnoterin“. Kaum waren die Worte aus meinem Mund, dachte ich „Warum zum Kuckuck habe ich gerade gegendert? Das wollte ich doch gar nicht.“ Dank
Thorsten Havener: Denk doch, was Du willst. Die Freiheit der Gedanken
weiß ich inzwischen, dass mein Genderversehen in der Wissenschaft als Linguistic Style Matching bekannt ist und das schauen wir uns nun genauer an.
Was ist Linguistic Style Matching?
2002 entdeckten Kate G. Niederhoffer und James W. Pennebaker an der Universität von Texas in Austin das Linguistic Style Matching im Rahmen einer groß angelegten Studie. Teil dieser Studie war ein Experiment, bei dem Studenten Aufgaben zu beantworten hatten. Diese Aufgaben waren unterschiedlich formuliert, und die beiden Forscher wollten wissen, ob die Formulierung der Aufgaben die Formulierung der Antworten beeinflussen würde. Das Ergebnis des Experiments war eindeutig:
- förmlich formulierte Aufgaben erhielten förmlich formulierte Antworten,
- umgangssprachlich formulierte Aufgaben erhielten lockere Antworten.
Die Antwort auf die Frage, ob die Formulierung der Aufgaben die Formulierung der Antworten beeinflussen würde, lautete also: Ja. Dieses Phänomen der Anpassung des Sprachniveaus beschränkt sich nicht nur auf die Schrift, es durchzieht viele Bereiche unseres Lebens. Die Forscher fanden im Rahmen ihrer Studie heraus, dass Menschen, die sich sympathisch sind, zum Teil innerhalb weniger Sekunden ihr Sprachniveau an das ihres Gegenüber anpassen. Vielleicht ist dies sogar der Grund, warum manche Menschen mit Kindern spontan in Kindersprache verfallen.
Bei der Untersuchung von historischen Briefwechseln stellten unsere Forscher fest, dass dieses Phänomen kein neues Phänomen ist. Ihre Untersuchung historischer Briefwechsel ergab, dass der Sprachstil im Briefwechsel immer dann besonders hohe Übereinstimmungen hatte, wenn sich die Personen besonders gut verstanden.
Linguistic Style Matching im echten Leben
Das Linguistic Style Matching funktioniert auch bei Zuschauern. Wenn wir uns einen Film anschauen, bei dem wir den Hauptdarsteller sympathisch finden, stehen die Chancen gut, dass wir nach dem Film unser Sprachniveau an das des Hauptdarstellers anpassen. Selbst das Lesen von Büchern hat Einfluss auf unseren Sprachstil.
An dieser Stelle habe ich das Bedürfnis, Spiderman „Aus großer Macht, folgt große Verantwortung!“ zu zitieren, um darauf hinzuweisen, dass Filme und Bücher einen großen Einfluss auf ihre Zeit haben. Zum Glück haben wir es selbst in der Hand zu entscheiden, was wir konsumieren.
Das Linguistic Style Matching erschafft im echten Leben eine harmonische Kommunikation zwischen Gesprächspartnern. Und eine harmonische Kommunikation erschafft glückliche Gesprächspartner. Das bedeutet dann wohl absurderweise auch, dass Gesprächspartner, die gemeinsam über ein Thema meckern, glückliche Gesprächspartner sind.
Fazit
Dank unseres Autors Thorsten weiß ich nun endlich, warum ich gegendert habe, obwohl ich es nicht wollte. Ich habe gegendert, weil in dieser Gruppe jemand saß, den ich unglaublich mag und dem das Thema Gendern sehr am Herzen liegt. Das Sympathische an dieser Person ist, dass sie nicht oberlehrerhaft gendert und andere Menschen korrigiert. Sie gendert aus tiefer Überzeugung mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass sie bei mir das Linguistic Style Matching auslöst.
Mit diesem Wissen im Hinterkopf wünsche ich mir nun, dass auch Behörden beginnen, das Linguistic Style Matching für sich zu nutzen und die Briefe überarbeiten, die ihre Bevölkerung immer mal wieder erhält. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass freundlich und verständlich kommunizierende Behörden erleben, dass ihre Kunden plötzlich ebenfalls freundlich und verständlich kommunizieren. Ich glaube, diese kleine Veränderung könnte eine große Veränderung bewirken. Sie hat vielleicht sogar das Zeug, das Image eines ganzen Landes zu wandeln.
Der Mensch ist ein soziales Tier und das Linguistic Style Matching ist ein weiterer Beweis dafür. Wir können dieses Phänomen nutzen, um die Welt zu verändern. Wenn wir das Gefühl haben, dass die Sprache um uns sehr aggressiv ist, können wir in unserer eigenen Kommunikation darauf achten, aggressive Formulierungen zu vermeiden und sorgen so dank Linguistic Style Matching dafür, dass Menschen in unserer Umgebung, die uns sympathisch finden, weniger aggressiv formulieren. Wie sagte Ghandi einst so schön: Sei Du selbst die Veränderung, die Du dir wünschst für diese Welt.
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