Der Relevanzkoeffizient. Oder: Wie könnte eine gerechte Entlohnung aussehen?
Laut Gehaltsreport von StepStone aus dem Jahr 2023 verdienen Ärzte in Deutschland jährlich im Durchschnitt 93.793 €. Das durchschnittliche Gehalt für Arbeitnehmer im Gesundheits- und Sozialwesen liegt dagegen bei 38.139 €. Es liegt damit nur knapp über die Löhne und Gehälter in der Hotellerie, Gastronomie und Tourismusbranche, die mit 35.722 € die am schlechtesten bezahlten Branchen des Reports darstellen. Damit verdienen Ärzte durchschnittlich 55.654 € im Jahr mehr als andere Arbeitnehmer, die mit ihnen zusammenarbeiten.
Geradezu lächerlich erscheint selbst das Gehalt eines Arztes aber im Vergleich zu dem von Fußballern der deutschen Bundesliga. Sadio Mané, der seit 2022 für den FC Bayern München spielt, verdient 22 Millionen Euro im Jahr. Selbst der schlechtbezahlteste Spieler des Teams, Gabriel Vidovic, geht mit 1 Millionen Euro nach Hause.
Und dann gibt es da ja auch noch die Jobs, die gar nicht im Gehaltsreport auftauchen, weil wir sie nicht als Jobs ansehen: Kindererziehung oder Pflege von Familienmitgliedern. Sie werden gar nicht vergütet. Da diese Tätigkeiten in der Familie jedoch Zeit kosten, müssen nicht wenige Menschen dafür in Kauf nehmen, dass sie nicht Vollzeit arbeiten können, verdienen damit dementsprechend weniger und werden am Ende auch weniger Rente bekommen.
Warum verdienen wir so unterschiedlich?
Ich frage mich schon lange, warum manche Menschen so viel mehr verdienen als andere und bin dabei auf zahlreiche Erklärungsansätze gestoßen. Manchmal wird die Ausbildung als Grund für die Einkommensunterschiede angeführt. Ein Mensch, der viele Jahre studiert hat, muss schließlich mehr verdienen, als ein Mensch, der nach dem Schulbesuch einfach gearbeitet und nicht weiter in seine Ausbildung „investiert“ hat. Manchmal ist auch die Arbeitszeit ein Argument. Ein Arzt im Krankenhaus kann in einer OP nun mal schlecht aufhören, weil sein 8-Stunden-Tag vorbei ist. Allseits beliebt ist auch das Argument der Verantwortung, die ein Arbeitender zu tragen hat. Je risikoreicher sein Job, desto höher bezahlt ist er. Wobei hier mit „Risiko“ in der Regel nicht etwa ein Verletzungsrisiko für die eigene Person, sondern ein Risiko für das Unternehmen gemeint ist.
Ist unser aktuelles Entlohnungssystem gerecht?
Doch egal, welcher Erklärungsansatz mir begegnet ist, keiner macht mich glücklich und stellt mich zufrieden. Wenn ich mir die Welt anschaue, funktionieren die gut bezahlten Jobs nicht ohne die schlecht bezahlten Jobs. In einem Krankenhaus brauche ich die Ärztin, die mich operiert, und ich brauche den Pfleger, der danach darauf achtet, dass ich wieder zu Kräften komme. Jeder hat seinen Anteil an meiner Genesung. Und emotional habe ich eine stärkere Bindung zum Pfleger. Schließlich sehe ich diesen mehrmals am Tag, während ich die wichtigste Arbeit des Arztes nicht wirklich mitbekomme, weil ich während der Operation schlafe.
Das Thema Einkommen beschäftigt mich so sehr, weil ich es als ungerecht empfinde, dass ich mir einfach eine neue Waschmaschine kaufen kann, wenn meine kaputt ist und andere Menschen dafür einen Kredit aufnehmen müssen. Ja, ich weiß, ich lebe sparsam und achte auf meine Ausgaben. Ja, ich weiß, dass es Menschen gibt, die einen Kredit für die Waschmaschine brauchen, weil sie mit Geld einfach nicht umgehen können. Aber ich weiß auch, dass es zahlreiche Vollzeit arbeitende sparsame Menschen gibt, die sich dennoch keine neue Waschmaschine ohne Kredit leisten können.
Geht das nicht gerechter?
Diese Frage treibt mich seit Langem um. Doch ich finde einfach keine Antwort auf sie. Daher habe ich mich sehr gefreut, als ich in
Sina Trinkwalder: Zukunft ist ein guter Ort. Utopie für eine ungewisse Zeit
über die Idee des Relevanzkoeffizienten gestolpert bin. Laut unserer Autorin stellt dieser einen Weg dar, Menschen gerechter zu entlohnen. Wie genau dies funktioniert erklärt Sina (Seite 158ff.) in leicht verständlichen Worten, so dass ich die Idee hier wiedergeben kann.
Wie funktioniert der Relevanzkoeffizient?
Der Relevanzkoeffizient hat die Aufgabe, Wertschätzung und Anerkennung für Berufe neu zu verteilen. Für die Berechnung des Relevanzkoeffizienten werden
- soziale
- regionale und
- ökologische
Aspekte zugrunde gelegt. Ein Job, der der Allgemeinheit mehr nutzt, wird besser bezahlt. Das bedeutet, dass ein Arzt in Berlin weniger verdienen würde als ein Arzt auf dem Land in einem Dorf, zumal dann, wenn der Arzt in dem Dort der einzige Arzt in der Region ist. Ein Job in einem Unternehmen, das nachweislich der Umwelt schadet, würde schlechter bezahlt als der gleiche Job in einem Unternehmen, das der Umwelt nicht geschadet hat. Ein Pfleger würde auf Basis des Relevanzkoeffizienten mehr verdienen als ein YouTuber, der die neusten Smartphones testet.
Fazit
Ich habe keine Ahnung, ob der Relevanzkoeffizient für eine gerechtere Entlohnung sorgen kann. Dafür ist Sinas Idee dann doch zu grob skizziert. Mich hat die Idee dazu inspiriert, mich wieder mit dem Thema Gehaltsgerechtigkeit zu beschäftigen. Dank Sina frage ich mich nun, ob es da draußen noch andere Ideen gibt, mit deren Hilfe wir Gehaltsgerechtigkeit schaffen können. Denn feststeht, nur wenn wir uns auf die Suche nach einer Alternative für den aktuellen Zustand machen, können wir langfristig ein gerechteres Gehaltsystem erschaffen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass ein gerechtes Einkommen die Grundlage einer stabilen Gesellschaft ist. Ein Mensch, der stets und ständig damit beschäftigt ist, jeden Euro zwei Mal umzudrehen, hat schlichtweg zu wenig Zeit, um sich um Themen zu kümmern, die wirklich wichtig sind. Nur wenn die eigene Lebensgrundlage gesichert ist, können wir uns bewusst Zeit für andere nehmen und so die Welt zu einem besseren Ort machen.
An dieser Stelle bin ich neugierig: Welche Ideen kennst Du, die uns dabei helfen könnten, das Gehaltssystem gerechter zu gestalten.
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