Kann Müßiggang die Welt retten?

15 Minuten nur ich und meine Gedanken.

Stell Dir vor Du nimmst an einem Experiment teil, in welchem Du die Aufgabe hast, 15 Minuten lang allein in einem Raum zu sitzen und nichts zu tun. Vor dem Experiment gibst Du den Wissenschaftlern alle Dinge, die Dich in dieser Zeit ablenken könnten. Wie würde dieses Experiment für Dich enden?

  1. Du würdest die 15 Minuten genießen und endlich mal wieder an all die schönen Dinge denken, an die Du gern denkst, wenn Du Zeit hast.
  2. Du würdest Dich langweilen und nach 15 Minuten froh sein, dass Du wieder Menschen siehst und Dein Smartphone zurück hast.
  3. Du würdest Dir in den 15 Minuten freiwillig 190 Elektroschocks verpassen, um Dich zu beschäftigen.

Ich weiß nicht welche Option Du gewählt hast, aber kein Mensch würde sich für Option 3 entscheiden, oder? Zum großen Erstaunen gab es im Rahmen dieses Experimentes einen Teilnehmer, der sich für dei letzte Option entschied. Sein Verhalten war allerdings so weit weg von der Norm, dass die Wissenschaftler der Universität Virginia ihn als Ausreißer deklarierten und lediglich die Ergebnisse der anderen 42 Teilnehmer (18 Männer, 24 Frauen) des Experiments auswerteten:

  • 24 Teilnehmer saßen 15 Minuten da und taten nichts.
  • 18 Teilnehmer (12 Männer, 6 Frauen) fügten sich innerhalt der 15 Minuten bis zu 4 Elektroschocks zu.

Mich hat das Ergebnis dieses Experiments, über das ich bei

Sebastian Pflügler: Kommunikation für die digitale Ära. Wie wir heute miteinander reden – und was dabei immer noch wichtig ist

gestolpert bin, sehr überrascht. Bis jetzt dachte ich, dass es nur mir schwer fallen würde, nichts zu tun. Doch ich würde nie auf die Idee kommen, mir selbst einen Elektroschock zu verpassen, um dem Nichtstun zu entgehen. In den Augen unseres Autors zeigt das Experiment, das viele Menschen, die heute leben, alles tun, um ihren inneren Dialog im Alltag zu vermeiden, so dass sie kaum mehr in der Lage sind, mit ihm umzugehen.

Warum meiden wir den inneren Dialog?

Auf dem Heimweg schnell noch ein wichtiges Telefonat erledigen.

Laut unseres Autors können all die Dinge, die uns das Leben in den letzten Jahre so viel angenehmer gemacht haben, einen Beitrag dazu leisten, dass wir unseren inneren Dialog meiden. Wir haben uns daran gewöhnt, unsere freie Zeit am Tag anders zu nutzen. Mal checken wir beim Kaffee holen unsere privaten Mails, mal lesen wir nur schnell noch etwas auf unserer Timeline.

Vor der Erfindung des Smartphones und der selbstfahrenden Autos haben Menschen den Arbeitsweg am Abend genutzt, um die Erlebnisse des Tages zu reflektieren. Heute nutzen die meisten Menschen diese Zeit, um schnell noch ein Telefonat zu führen.

Nach den Erkenntnissen unseres Autors raubt diese selbstgemachte Reizüberflutung nicht wenigen Menschen die Erholung, die sie brauchen. Denn das Bedürfnis der Reflexion verschwindet in der Regel nicht. Es sucht sich den ersten Ruheraum, den es zu fassen bekommt. Nicht selten ist das der Moment, in dem sich Menschen aufs Ohr hauen und schlafen wollen. Statt des dringend benötigten Schlafes beginnt das eigene Gehirn nun mit der Reflexion des Tages und raubt dem bereits erschöpften Menschen wertvollen Schlaf.

Muße kann ein Genuss sein

Zu meiner großen Freude hat unser Autor eine Definition für den Begriff parat, der in den letzten Jahrzehnten etwas an Bedeutung verloren hat:

„Die Wissenschaft definiert Muße als nicht zweckgebundenen konzentrierten oder schöpferischen Zustand.“ S. 53.

Ich kann noch nicht schlafen, ich brauche Zeit zum reflektieren.

Bis 2017 gehörte ich zu den Menschen, die nicht schlafen konnten. Ich war getrieben und auf der Suche. Ich arbeitete gern und viel und war der festen Überzeugung, dass dies gut und richtig sei. Ich war so beschäftigt, dass ich es verlernt hatte, ein Buch zu lesen. Muße war mir ein Fremdwort. Selbst im Urlaub war mir nach 5 Minuten am Strand immer langweilig, und ich wollte durch irgendetwas unterhalten werden.

Zum Glück hat sich das inzwischen geändert, weil ich zwei Dinge gefunden habe, die mir und meinem Leben Muße und damit unglaublich viel Freude und Erholung schenken:

  1. Bücher lesen und
  2. Zeichnen.

Durch viel Routine habe ich mir die Welt der Bücher, die meine Kindheit geprägt und bereichert hatten, zurück erarbeitet. Angefangen habe ich mit 4 Minuten lesen am Tag. 2 Minuten morgens beim Zähneputzen, 2 Minuten abends beim Zähneputzen. Angefangen habe ich mit Fachbüchern, doch inzwischen kann ich auch wieder normale Literatur lesen und gemeinsam mit den Romanfiguren Abenteuer erleben.

Noch fantastischer als Bücher ist es mit der Muße für mich allerdings beim Zeichnen. 2017 war ich wie viele Menschen der Überzeugung, dass ich nicht zeichnen kann. Doch ignorant wie ich bei solchen Dingen bin, fing ich 2019 einfach damit an und ahnte nicht, wie schön es ist, mit einem Stift in der Hand die Zeit zu vergessen. Die Konzentration darauf, etwas auf ein Blatt Papier zu bannen, lässt die Zeit wie im Fluge vergehen. Zurück bleibt ein Bild, ein verkrampfter Rücken und ein Gefühl der Zufriedenheit und Entspannung, dass mir lange Zeit völlig unbekannt war.

Fazit

Menschen sind keine Zahnräder.

Das Experiment unserer Wissenschaftler zeigt, wie wichtig es ist, dass wir uns selbst nicht aus unserem eigenen Alltag verdrängen. Ja, es ist wichtig, dass wir einen Job haben. Ja, es ist wichtig, dass es der Familie gut geht. Ja, es ist wichtig, dass wir für das Alter vorsorgen. Doch egal wie wichtig all das ist, wir sind wichtiger. Die Zeit, in der wir leben ist unglaublich fordernd und es ist leicht, zu einem Zahnrädchen zu werden, das dafür sorgt, dass alles läuft. Doch der Mensch ist nicht dafür geschaffen worden, ein Zahnrädchen zu sein.

In meinen Augen ist es an der Zeit umzudenken und das nicht nur auf persönlicher, sondern auf globaler Ebene. Wir haben es geschafft, die Welt zu erobern und sind nach einigen Jahrzehnten Winterschlaf nun auch dabei, das All wieder zu bereisen. Jetzt ist die Zeit gekommen, aus dem „höher – schneller – weiter“ auszusteigen und endlich die alles entscheidende Frage zu stellen: In was für einer Welt wollen wir leben? Wollen wir ernsthaft in einer Welt leben, in der Menschen sich lieber Elektroschocks verpassen, als nichts zu tun? Oder wollen wir in einer Welt leben, in der Menschen ihr Leben genießen und gemeinsam an etwas Größerem arbeiten. Was wir jetzt brauchen sind kluge Menschen, die in der Lage sind, das große Ganze zu sehen und zu erschaffen. Die Welt war lange Zeit ein „wir gegen sie“. Das hat eine Menge Schaden angerichtet. Wir sind zu klug, um das ernsthaft weiter zu betreiben. Das Leben, die Natur und das Universum sind großartig, und es ist an uns, dies endlich zu erkennen und zu genießen. Und vielleicht brauchen wir nur ein wenig mehr Muße in unser aller Leben, um dieses Ziel zu erreichen.

20. August 2021
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Buchcover Sebastian Pflügler: Kommunikation für die digitale Ära. Wie wir heute miteinander reden – und was dabei immer noch wichtig ist,
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Das Buch, das diesen Beitrag inspiriert hat, habe ich als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Das bedeutet, ich habe das Buch kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen, um darüber zu schreiben.

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