Was ist Entscheidungsmüdigkeit, und wie gehen wir am besten mit ihr um?

Eigentlich wollte ich doch mit Fahrrad fahren.

Jeder von uns trifft jeden Tag unzählige Entscheidungen, die unseren Alltag gestalten. Aus Gründen, auf die wir gleich näher eingehen werden, treffen wir die meisten unserer Entscheidungen unbewusst. So entscheiden wir in der Regel nicht jeden Tag aktiv, ob wir zu Fuß, mit Fahrrad, mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Auto zur Arbeit fahren. Wir wählen einfach das Fortbewegungsmittel, das wir sonst auch immer wählen. Andere Entscheidungen dagegen treffen wir bewusst. Wenn der Kollege uns fragt, ob wir Lust haben, mit ihm essen zu gehen, weil wir das viel zu selten machen, treffen wir eine bewusste Entscheidung für oder gegen dasgemeinsame essen mit dem Kollegen.

Doch Entscheidungen wie die zum Essengehen sind – wie der Apotheker sagen würde – mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden. Denn jede aktive Entscheidung, die wir im Verlauf des Tages treffen, kostet uns Energie und kann für jene Entscheidungsmüdigkeit sorgen, die wir uns nun dank

Werner Tiki Küstenmacher: LIMBI – Der Weg zum Glück führt durchs Gehirn

genauer anschauen werden.

Was ist Entscheidungsmüdigkeit?

Bitte reichlich füttern.

Wie Du Dich sicherlich erinnerst ist die weiße wabblige Masse zwischen unseren Ohren der größte Energiefresser in unserem Körper. Evolutionär ist Energie eine rare und wertvolle Ressource, die keinesfalls verschwendet werden darf. Aus diesem Grund ist unser Körper über die Zeit ein echtes Energiesparwunder geworden und sorgt wo er nur kann dafür, dass energiesparende Automatismen die Regie über unseren Alltag haben. So kommt es, dass wir auf halber Strecke zur Arbeit plötzlich feststellen, dass wir doch eigentlich nicht das Auto, sondern das Fahrrad nehmen wollten, uns jedoch unser geistiger Autopilot mal wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.

Ich beschütze Dich vor schlechten Entscheidungen.

Doch die Sache ist die: Auch wenn wir uns in diesem Moment über unseren Autopiloten ärgern, in Wirklichkeit tut er uns auch heute noch mit seinen unzähligen Automatismen und seinem Energiesparen einen Gefallen, weil er so der Entscheidungsmüdigkeit vorbeugt und uns so vor wirklich schlechten Entscheidungen schützt.

Dass es Entscheidungsmüdigkeit gibt, hat das Forscherteam von Shai Danziger von der israelischen Ben-Gurion-Universität im Rahmen einer Studie herausgefunden. Diese Studie analysierte über 1.000 richterliche Urteile zur vorzeitigen Haftentlassung. Das überraschende Ergebnis lautet: Die Chance, früher aus der Haft entlassen zu werden ist größer, wenn der Richter ausgeruht ist. Morgens und kurz nach der Mittagspause liegen die Chancen, aus der Haft entlassen zu werden, bei bis zu 65 % und nehmen danach stetig ab.

Dein Schlüssel in die Freiheit darf niemandem schaden.

Einen Gefangenen im Gefängnis zu belassen und nicht am Status Quo zu rütteln, ist für einen Richter weniger anstrengend, als einen Gefangenen vorzeitig zu entlassen. Im Falle der Haftentlassung muss der Richter viele Faktoren im Blick haben, denn seine Entscheidung hat im wahrsten Sinne Einfluss auf die Sicherheit der Gesellschaft und muss daher wohl überlegt sein. Jede Entscheidung für eine Haftentlassung verbraucht viel Energie und senkt somit gleichzeitig die Chancen für den nächsten Gefangenen auf der Verhandlungsliste.

Wie gehen wir mit Entscheidungsmüdigkeit um?

Das Gute ist, dass wir von unseren Richtern eine Menge lernen können, z. B. dass wir unsere anstehenden Entscheidungen besser planen und somit bessere Entscheidungen treffen können.

Learning 1: Wenn uns am Ende eines langen Arbeitstages eine wichtige Entscheidung abverlangt wird, sollten wir diese nach Möglichkeit auf den nächsten Morgen verschieben. Dies hat gleich zwei Vorteile:

  1. Wir sind am nächsten Tag ausgeruht und steigern damit die Chance, eine gute Entscheidung zu treffen.
  2. Wir haben eine Nacht darüber geschlafen, haben Zeit und Kraft gewonnen und entdecken mit etwas Glück einen noch besseren dritten Lösungsweg.

Learning 2: Es ist vielleicht keine so gute Idee, am Ende eines Marathonmeetings noch schnell 25 Entscheidungen zu fällen. 

Fazit

Lass mich in Ruhe darüber nachdenken.

Versteh mich an dieser Stelle bitte nicht falsch: Ich liebe schnelle Entscheidungen. Mein Motto lautet – getreu Richard Branson – an dieser Stelle ganz einfach „The answer is yes. Now what was the question?“. Menschen, die sich einfach nicht entscheiden können und auf genügend Fakten warten, bevor sie eine Entscheidung treffen, machen mich schier wahnsinnig. Doch wer weiß, vielleicht lerne ich mit dem Gedanken an diese Studie in Zukunft geduldiger gegenüber Menschen zu sein, die ganz offensichtlich alles daran setzen, möglichst gute Entscheidungen zu treffen.

27. Oktober 2020
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Buchcover zum Beitrag
Ein Männchen mit vier Armen wirbelt 8 Bücher durch die Luft.
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Das Buch, das diesen Beitrag inspiriert hat, habe ich als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Das bedeutet, ich habe das Buch kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen, um darüber zu schreiben.

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4 min readCategories: Bücher, Wissen

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Ein Männchen mit vier Armen wirbelt 8 Bücher durch die Luft.

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27. Oktober 2020
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  1. Maria von du-bist-grossartig.de 14. September 2023 at 05:05 - Reply

    Der Autor von
    Gerd Gigerenzer: Klick. Wie wir in einer digitalen Welt die Kontrolle behalten und die richtigen Entscheidungen treffen
    Kommt zu dem Schluss, dass die Studie mit den hungrigen Richtern fälschlicherweise von einer Kausalbeziehung ausgeht:
    „Doch die Autoren [der Studie mit den Richtern] übersahen einen wichtigen Punkt: Die Reihenfolge der Gefangenen war nicht zufällig. Das Gericht versuchte, alle Fälle aus einem Gefängnis vor einer Pause zu verhandeln, wobei nicht anwaltlich vertretene Gefangene, deren Aussichten schlechter waren als die der Gefangenen mit Anwälten, in der Regel zuletzt an der Reihe waren. Folglich ist die Geschichte von den irrationalen Richtern, die sich von ihren Hungergefühlen leiten lassen, ein Beispiel für eine Korrelation, die allzu rasch und ohne hinreichende Berücksichtigung anderer Faktoren als Kausalbeziehungen interpretiert worden ist.“ S. 187f.

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