Weißt Du, was Antonomasie ist?

Ich bin mir sehr sicher, dass mir dieser Begriff noch nie zuvor begegnet ist. Daher bin ich unserer heutigen Autorin sehr dankbar, dass sie den Begriff in ihrem Buch erwähnt.

Silvia Ferrara: Die große Erfindung. Eine Geschichte der Welt in neun geheimnisvollen Schriften,

Dabei verwendet sie den Begriff in einem Satz so, dass wir wissen, dass er etwas mit der Entstehung des Namens der Insel Kreta zu tun hat. Wortwörtlich schreibt sie

„hier gibt allein schon der Name Rätsel auf: Kreta. Woher er stammt, ist unbekannt, vielleicht aus einem alten Dialekt Anatoliens: von *kursatta für «Insel», also könnte der Name durch Antonomasie entstanden sein.“

S. 30.

Lass uns doch mal schauen, ob uns unser Lexikon verraten kann, was genau Antonomasie ist.

Was das Lexikon sagt

Ja, unser Lexikon kann uns mehr über unseren heutigen Begriff verraten:

Antonomasie [grch. »andere Benennung«], die, 1) Umschreibung eines Eigennamens durch eine Benennung nach besonderen Kennzeichen oder Eigenschaften des Benannten (z.B. »der Korse« für Napoleon) 1.); 2) Ersetzung der Bez. einer Gattung durch den Eigennamen eines ihrer typ. Vertreter (z. B. »Krösus« für reicher Mann).

Das Zeit Lexikon. Mit dem Besten aus der Zeit, Band 01, S. 294.

Unsere Autorin möchte uns mit ihrem Satz also sagen, dass Kreta möglicherweise nur deshalb Kreta heißt, weil sie eine Insel ist, und Kreta in einem mir völlig unbekannten anatolischen Dialekt Insel heißt. Es hat sich also möglicherweise nie jemand hingesetzt und überlegt, nach welchem Gott oder welcher besonderen Eigenschaft sich die fünftgrößte Insel des Mittelmeeres benennen ließe. Es könnte einfach sein, dass sich der Name daraus ergeben hat, dass einfach jeder Mensch, der damals aus Anatolien stammte, wusste, welche Insel gemeint war, wenn von der Insel die Rede war.

Wenn ich mir die Karte, die ich mal schnell stümperhaft gesketched habe, anschaue, liegen vor dem Gebiet, das einst Anatolien war, zwei große Inseln:

1. Zypern
2. Kreta

Zypern liegt gefühlt vor der Haustür, Kreta dagegen ist ein Stück weiter weg. Daher scheint mir das, was unsere Autorin sagt, durchaus plausibel. Kreta könnte vor langer Zeit für die Menschen in Anatolien eine große geheimnisvolle Insel gewesen sein, die viele nur aus Erzählungen kannten und daher wussten welche Insel gemeint war, wenn ein Reisender von ihr berichtete.

Fazit

Gefühlt habe ich heute mehr über die Insel Kreta gelernt als über unseren heutigen Begriff. Das mag aber auch einfach daran liegen, dass unser heutiger Begriff nicht sehr gehaltvoll ist.

Noch ein spannender Punkt ist mir bei meiner Mini-Internet-Recherche ins Auge gefallen. Antonomasien sind nicht einfach nur Ersetzungen eines Begriffs, Sie können auch positive oder negative Wertungen enthalten und diese Wertungen somit subtil an den Leser eines Textes voller Antonomasien übermitteln.

Da ich stilistische nicht sehr bewandert bin, ist die einzige Antonomasie, die ich ständig verwende, der Begriff Tempo für Taschentuch. Das ist deshalb verwunderlich, weil ich diese Papiertaschentuch-Marke nie kaufe und dennoch den Begriff nutze. Definitiv enthält das Wort „Tempo“ in diesem Zusammenhang für mich keine Wertung. Er macht nur deutlich, dass ich faul bin. Ich benutze einfach lieber den kurzen Begriff „Tempo“, statt des korrekteren, dafür aber längeren Begriff „Taschentuch“.

An dieser Stelle bin ich neugierig: Welche Antonomasien gehören zu Deinem alltäglichen Wortschatz? Nutzt Du die Ersetzungen gezielt auf- oder abwertend?