Weißt Du was ein Potemkinsches Dorf ist?
Diese Redewendung ist mir mit ziemlicher Sicherheit noch nie zuvor begegnet. Daher bin ich sehr gespannt, welche Geschichte sich hinter diesem Dorf versteckt, das der Autor
Martin Wehrle: Noch so ein Arbeitstag, und ich dreh durch! Was Mitarbeiter in den Wahnsinn treibt
in folgendem Satz erwähnt:
„Der öffentliche Dienst ist kaputtgespart worden, ein Potemkinsches Dorf, in dem letzte Mohikaner hausen.“ S. 250.
Beim Lesen des Satzes fällt mir auf, dass auch mein Wissen über Mohikaner sehr begrenzt ist. Ich weiss, dass es einen Film mit dem Titel der letzte Mohikaner gibt, den ich allerdings nie gesehen habe.
Was das Lexikon sagt
Zu meiner großen Freude hält unser Lexikon auch heute wieder zwei passende Beiträge für uns bereit:
Potemk‘insche Dörfer (etw. Vorgetäuschtes, in Wirklichkeit gar nicht Existierendes; nach dem Fürsten Potemkin, der der Kaiserin Katharina II. bei einem Besuch auf der Krim durch Errichtung von Fassaden Dörfer vorgetäuscht haben soll, um den wahren Zustand dieses Gebietes zu verdecken)
Das Zeit Lexikon. Mit dem Besten aus der Zeit, Band 17, S. 523.
Mohikaner, der; -s, -: Angehöriger eines ausgestorbenen nordamerikanischen Indianerstamms: * der letzte M./(seltener:) der Letzte, auch letzte der M. (ugs. scherzh.: jmd., der von vielen bzw. etw., was von vielem übrig geblieben ist; der od. das Letzte; nach dem 1826 erschienenen Roman >>The Last of the Mohicans<< von J. F. Cooper).
Das Zeit Lexikon. Mit dem Besten aus der Zeit, Band 18, S. 1581.
Kaiserin Katharina II. auf der Krim
Lass uns im ersten Schritt einen intensiveren Blick auf unseren ersten Lexikon-Eintrag werfen und mit Hilfe des Internets die Frage klären, warum die Kaiserin Katharina die Krim besuchte und warum die Legende entstand, dass der Fürst Potemkin nicht existierende Dörfer vortäuschte.
Spannenderweise gibt es im Internet nicht viele Quellen zu Potemkin. Daher muss an dieser Stelle Wikipedia als Informationsquelle herhalten. Potemkin (1739-1791) war einer der vielen Liebhaber der Kaiserin. Er eroberte im Rahmen eines Krieges Neurussland. Die Krim war Teil Neurusslands und so entstand die Legende, dass Potemkin bei Katharinas Besuch Dörfer vortäuschte, um der Kaiserin zu zeigen, dass das neu eroberte Gebiet florierte. Die Entstehung der Legende verdankt der Fürst mit hoher Wahrscheinlichkeit seinen Neidern.
Der letzte Mohikaner
Der Lexikon-Eintrag zum Mohikaner irritiert mich etwas, weil ich nicht nachvollziehen kann, warum man umgangssprachlich scherzhaft vom letzten Mohikaner spricht. Als Europa Amerika eroberte und in Besitz nahm, wurden dabei viele Indianer umgebracht. Das ist in meinen Augen nicht witzig, sondern einfach nur traurig. Lass uns also einmal schauen, ob das Internet uns erklären kann, was an dieser Redewendung lustig ist.
Coopers Roman spielt vor dem Hintergrund des französisch-britischen Kolonialkriegs von 1754-1763. An der Seite der Franzosen kämpften auch Indianer gegen die Engländer. Das Buch basiert auf frei erfundenen Figuren und sein letztes Kapitel enthält den Hinweis auf den umgangssprachlichen Scherz:
„Der weise Tamenund erklärt, auch seine Zeit sei gekommen: Am Morgen seines Lebens seien die Indianer mächtig gewesen, doch nun sei der weiße Mann der Herr über die Erde, und er müsse den Anblick des letzten der Mohikaner ertragen, eines einst so stolzen Volkes.“
https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/der-letzte-mohikaner/5650
In diesem Satz steckt die ganze Dramatik einer historischen Entwicklung, in der es traurigerweise dazu kam, daß ein mächtiges Volk binnen weniger Generationen auf wenige Überlebende reduziert wurde. Meine Vermutung ist, dass der Scherz ähnlich wie bei Asterix und Obelix darin besteht, dass es trotz aller Bemühungen noch immer ein paar Überlebende gibt, die sich weigern, zu verschwinden. Ob ich mit dieser Vermutung richtig liege, finde ich wahrscheinlich erst heraus, wenn ich Coopers fünf Bände seiner Lederstrumpf-Reihe gelesen habe.
Fazit
Lass uns an dieser Stelle noch einmal zurück zum Satz unseres Autors kommen und schauen, ob wir nun verstehen, was er uns sagen möchte:
„Der öffentliche Dienst ist kaputtgespart worden, ein Potemkinsches Dorf, in dem letzte Mohikaner hausen.“
Mit unserem neuen Wissen würde ich den Satz wie folgt formulieren
„Der öffentliche Dienst gleicht einem Dorf mit vorgetäuschten Fassaden, in denen die letzten Überlebenden eines einst starken und mächtigen Stammes hausen.“
Ich kenne mich mit Beamten zu wenig aus, um die Einschätzung unseres Autors beurteilen zu können. Doch ich mag die Anschaulichkeit des Bildes, das in diesem Satz steckt, sehr und freue mich darüber, dass es uns heute gelungen ist, ihn zu entschlüsseln.
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Das Buch, das diesen Beitrag inspiriert hat, habe ich als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Das bedeutet, ich habe das Buch kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen, um darüber zu schreiben.
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