Weißt Du was eine Gardinenpredigt ist?
Die Worte Gardine und Predigt sind normale Alltagsworte, die ich wie folgt erklären würde: Eine Gardine ist ein hängendes Stoffstück, mit dem wir ein Fenster verdecken können. Und eine Predigt ist ein Vortrag über Dinge, die wir tun sollten, weil sie gut und richtig sind. Doch ich habe keine Ahnung, was eine Gardinenpredigt ist und freue mich heute sehr darauf, dank
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herauszufinden, was es mit diesem Begriff auf sich hat.
Wilde Bedeutungsspekulation
Um der Bedeutung unseres heutigen Begriffes auf die Schliche zu kommen, schauen wir uns beide Worte, die in ihm stecken, im Folgenden etwas genauer an.
Die meisten Predigten werden in Kirchen gehalten, ich kenne jedoch keine Kirchen, in denen Gardinen hängen. Also vermute ich, dass eine Gardinenpredigt nicht in einer Kirche gehalten wird.
Eigentlich wollte ich gerade Anlauf nehmen und mich auf die Frage stürzen: „Wo hängen Gardinen?“, doch beim Tippen der Frage ist mir aufgefallen, dass ich mir gar nicht sicher bin, was genau eine Gardine ist. Ich bin mir sicher, dass Gardinen genutzt werden, um Fenster zu verhängen. Ich bin mir aber auch sicher, dass ich noch nie in meinem Leben eine Gardine besessen habe. An meinen Fenstern hängen Rollos oder Vorhänge, aber keine Gardinen. Wenn ich das Wort Gardine höre, sehe ich ein kleines Haus vor meinem inneren Auge, an dessen Fenstern kleine weiße Stoffstücke hängen, die mit irgendwelchen Bildern bestickt wurden und dem Passanten den Blick in den Raum erschweren, aber nicht verwehren.
Gardinen gehören zu den Produkten, deren Sinn sich mir nie erschlossen hat. Zum einen sind sie unglaublich unpraktisch. Weißer Stoff ist empfindlich. Kaum hatte ein Kind seine Finger an einer Gardine, muss diese gewaschen werden. Und selbst in kinderfreien Haushalten sind die Stoffstücke betreuungsintensiv, weil sie durch Staub und Küchendämpfe schnell grau werden. Zudem machen Gardinen in meinen Augen einen schlechten Job. Einerseits verdecken sie ein Fenster nicht richtig, andererseits sieht jede Gardine anders aus, so dass ich oft näher an eine Gardine herangehe, um ihr genaues Muster zu erkennen. Sobald ich dann nah an der Gardine bin, erkenne ich nicht nur ihr Muster, sondern sehe auch unweigerlich den Raum hinter ihr.
Gardinen sind so einzigartig und vielseitig wie ihre Besitzer. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass in dieser Eigenschaft die Brücke zu unserer Gardinenpredigt liegt. Jedes Haus hat seine eigenen Gardinen und seine eigenen Regeln. In manchen Häusern wird jeden Abend um 18 Uhr gegessen, in anderen Häusern hat jeder Gegenstand einen festen Platz. Aus diesem Grund lautet die wilde Bedeutungsspekulation für heute:
Eine Gardinenpredigt ist das ständige Wiederholen der Hausregeln gegenüber einem Haushaltsmitglied, das wieder einmal gegen diese verstoßen hat.
Ob diese Bedeutungsspekulation etwas mit der wahren Bedeutung unseres Begriffs zu tun hat, wird uns nun hoffentlich unser Lexikon verraten.
Was das Lexikon sagt
Zu meiner großen Überraschung hält unser Lexikon heute tatsächlich einen passenden Eintrag für uns bereit:
Gardinenpredigt, die [entspr. älter niederl. gordijnpreek, älter engl. curtain lecture = nächtliche Strafpredigt, mit der die Ehefrau den vom Wirtshaus heimkehrenden betrunkenen Mann hinter dem Bettvorhang empfing] (ugs. scherzh.): Vorhaltungen in strafendem Ton, durch die jmd. seine Verärgerung zu erkennen gibt: er hält seiner Frau eine G.
Das Zeit Lexikon. Mit dem Besten aus der Zeit, Band 17, S. 837.
Unsere wilde Bedeutungsspekulation ist zwar kein Volltreffer, bewegt sich jedoch erstaunlich nah an der wahren Bedeutung, oder? Was ich nicht auf dem Zettel hatte ist die Tatsache, dass nicht nur Fenster, sondern auch Betten Vorhänge haben können.
Faszinierend an diesem Lexikoneintrag finde ich die Vorstellung, dass das Szenario „betrunkener Mann kommt spät nach Hause und Frau ist genervt“ so verbreitet war, dass ihm ein Begriff gewidmet wurde.
Fazit
Ich freue mich sehr, dass ich nun weiß, was es mit dem Begriff auf sich hat. Viel mehr freue ich mich aber darüber, dass ich mir sicher bin, dass ich nie im Leben eine Gardinenpredigt halten werde.
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