Weißt Du, was eine Schneeflocke ist?
Wenn Du jetzt denkst „Ja, natürlich weiß ich das. Schneeflocken fallen im Winter, wenn die Temperaturen unter null Grad sind und es einen Niederschlag gibt.“ Damit geht es Dir so wie mir, bis ich in
Anja Kühne, Nadine Lange, Björn Seeling & Tilmann Warnecke: Heteros fragen, Homos antworten
über folgenden Satz gestolpert bin:
„Dabei schwingt vonseiten der Mehrheitsgesellschaft gern mal der Vorwurf mit, dass Aktivist*innen nur ihre egoistischen Anliegen durchsetzen wollen und hypersensible Schneeflocken den Diskurs mit ihren Empfindlichkeiten dominieren.“
S. 6.
Dieser Satz entstammt dem Vorwort der zweiten Auflage des Buches, der die Frage beantwortet, warum es eine zweite Auflage gibt und warum diese angepasst wurde. Ein Grund für die Neuauflage des Buches ist dessen Einstufung als Klassiker der Aufklärungsliteratur. Ein Grund für die Überarbeitung ist ist die Weiterentwicklung der queeren Emanzipationsbemühungen in den 5 Jahren, die zwischen dem Erscheinen der ersten Auflage und der zweiten Auflage vergangen sind.
Der oben zitierte Satz bezieht sich auf die queeren Emanzipationsbemühungen, mit deren detaillierter Entwicklung ich mich nicht gut genug auskenne, um zu wissen, was genau sich hier in den letzten 5 Jahren verändert hat. Da ich denke, dass es für unsere heutige Recherche nicht wichtig ist, diese Details zu wissen, gehen wir dieser Frage an dieser Stelle nicht weiter nach und springen direkt in die Begriffsrecherche.
Was das Lexikon sagt
Unser Lexikon kennt den Begriff, beschreibt aber nur das Wetterphänomen, das in unserem Buch keine Rolle spielt.
Schnee|flo|cke, die [mhd. snevlocke]: kleines leichtes, lockeres, weißes, zartes Gebilde aus mehreren zusammenhaftenden Eiskristallen: kleine, dicke -n.
Das Zeit Lexikon. Mit dem Besten aus der Zeit, Band 19, S. 2034.
Lass uns doch mal schauen, ob das Internet bei unserem heutigen Begriff hilfreicher ist.
Was das Internet sagt
Wikipedia verweist unter dem Eintrag Schneeflocke auf eine Reihe weiterführender Beiträge wie zum Beispiel:
- Das Wetterphänomen, das unser Lexikon beschreibt.
- Ein mathematisches Modell mit dem Namen Koch-Kurve.
- Eine Figur bzw. ein Zeichen, das auf einem Wappen auftauchen kann.
- Floquet de Neu (Schneeflocke) war ein Albinogorilla, der von 1966 bis 2003 im Zoo von Barcelona lebte
- Das Manöver Schneeflocke, an dem Schulkinder in der DDR teilnahmen, um diese mit dem Militär vertraut zu machen.
- Snowflake.
Der letzte Punkt führt uns über einen weiteren Begriffsklärungsartikel zum Thema Generation Snowflake. Der sehr ausführliche Wikipedia-Artikel erläutert, dass der Begriff Generation Snowflake meine Generation bezeichnet, also Menschen, die zwischen 1981 und 1996 geboren wurden. Der Begriff hat eine abwertende Bedeutung, in dem der Vorwurf gemacht wird, dass wir „zerbrechlich“ wie eine Schneeflocke sind. Der Beitrag geht auch darauf ein, dass der Begriff Schneeflocke schon seit vielen Jahrzehnten abwertend auf verschiedene Personengruppen angewandt wird.
Da der Wikipedia-Artikel sehr USA-lastig ist und unser Buch bei einem deutschen Verlag erschienen ist, der deutschsprachige Autoren verlegt, habe ich das Internet noch einmal gezielt nach der hypersensiblen Schneeflocke befragt. Viele der Suchergebnisse zur „hypersensible Schneeflocke“ schlagen die Brücke zur Generation Snowflake. Worin sich die Quellen uneins sind, ist, welche Generation genau gemeint ist. Zum Teil werden auch spätere Generationen als Generation Snowflake bezeichnet.
Was meinen unsere Autoren, wenn sie Schneeflocke schreiben
Im Internet gibt es keine klare Definition für die Formulierung „hypersensible Schneeflocke“, daher wage ich an dieser Stelle einen Interpretationsversuch.
Für unser oben genanntes Zitat scheint es mir nicht entscheidend zu sein, welche Generation nun genau gemeint ist. In meinen Augen ist hier nur wichtig zu verstehen, dass eine hypersensible Schneeflocke eine abwertende Bezeichnung für eine Person ist. Dieser Begriff beschreibt den Kampf zweier Generationen:
- einer neuen Generation und
- einer alten Generation.
Die alte Generation ist durch harte Zeiten gegangen, hatte lange Zeit nichts und musste sich aus eigener Kraft hocharbeiten. Die neue Generation wuchs in einem völlig neuen Lebensstandard auf. Die alte Generation musste sich einordnen, damit die Gesellschaft funktioniert, für ihre eigenen Bedürfnisse war dabei kein Platz. Wer in dieser Generation schwul war und sich outete wurde im wahrsten Sinne des Wortes kastriert, um in die gesellschaftliche Norm zu passen.
Die neue Generation dagegen wächst in einer Zeit auf, in der homosexuell sein nicht mehr kriminalisiert wird. Aus Sicht der Alten ist dies ein riesiger Luxus, über den sich diese Generation gefälligst freuen sollte. Doch statt dies zu tun, kämpft die neue Generation für noch mehr Einzigartigkeit und Freiheit. Sie fordern eine Gesellschaft, die auch jenen Menschen Raum gibt, die sich nicht als trans, lesbisch, homo oder hetero klassifizieren wollen. Gleichzeitig ist die neue Generation nicht mehr gewillt, den gleichen Arbeitsethos an den Tag zu legen wie die alte Generation. Sie ordnet sich nicht mehr einfach den gegebenen Hierarchien ein, sondern stellt sie in Frage. Sie ist nicht mehr bereit, die ganze Zeit zu arbeiten, um am Ende des Lebens die Rente genießen zu dürfen. Sie fordert leben und arbeiten miteinander vereinen zu können und wird von der alten Generation daher schnell als arbeitsfaul empfunden.
In meinen Augen haben beide Generationen eine gerechtfertigten Standpunkt. Die alte Generation hat den Lebensstandard erarbeitet, in dem wir heute leben. Hierfür gebührt ihr Dank und Anerkennung, auch weil sie an vielen Stellen mit der Aufgabe ihrer Identität dafür bezahlt hat. Die neue Generation macht uns völlig zurecht auf Themen aufmerksam, die in der Vergangenheit zu kurz gekommen sind. Dank neuer Generationen wie der Generation Schneeflocke, die sich für solche Themen stark machen, haben wir als Gesellschaft den Frauen mehr Rechte eingeräumt, aufgehört Schwule zu kastrieren und davon Abstand genommen, Transsexuelle zu einer Operation zu zwingen. Keinen dieser Fortschritte möchte ich missen.
Der Konflikt zwischen den beiden Generationen ist entstanden, weil sich die Welt in den letzten Jahrzehnten rasant weiterentwickelt hat. Wir sind noch lange nicht am Ende der Entwicklung angekommen, und ich kann mir gut vorstellen, dass jene, die heute in der jungen Generation für mehr Individualität kämpfen, irgendwann einer noch neueren Generation gegenüberstehen werden, deren Verhalten sie kopfschüttelnd begleiten werden.
Fazit
Ich bin mir nicht zu 100 Prozent sicher, ob es uns heute gelungen ist, den Begriff richtig zu interpretieren. Dennoch bin ich mit der heutigen Recherche mehr als zufrieden, weil ich viel Neues über einen Begriff gelernt habe, über den ich schon alles zu wissen glaubte.
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Der Begriff Schnee und weiß kommt aus der altgriechischen Sprache: Altgriechisch Χιόνη Chiónē = deutsch -> Schneeweiße -> https://www.mythologie-antike.com/t246-chione-mythologie-tochter-des-daidalion-und-mutter-des-autolykos