Weißt Du, was rubrizieren bedeutet?

Heute geht es um einen Begriff, der mir noch nie zuvor begegnet ist. Begegnet ist er mir in folgendem Satz

„Unsere Wahrnehmung und unsere Intuition, die in unseren Taten zum Ausdruck kommen, können dem überlegen sein, was wir wissen und rubrizieren, was wir mit Sprache diskutieren und in Klassenzimmern unterrichten.“ 

S.62

Er steht in dem Buch von

Nassim Nicholas Taleb: Antifragilität. Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen, S. 62.

Obwohl Nassim seinen Lesern ein einleuchtendes Beispiel an die Hand gibt, um zu erläutern, was er mit diesem Satz meint, habe ich nicht den Hauch einer Ahnung, was der Begriff bedeuten könnte.

Das Beispiel unseres Autors dreht sich um das Farbvokabular von Naturvölkern und der abendländischen Kultur, mit der er Texte von Philosophen wie Homer meint. Unsere heutige Sprache verfügt über zahlreiche Namen für Farben, die uns helfen, in Worte zu fassen, was wir sehen. Tatsächlich sind die Namen für Farben inzwischen so zahlreich, dass Systeme wie die RAL-Farben ins Leben gerufen wurden, die es uns ermöglichen, die Farben wie Rostrot, Atlasrot und Kastanienrot zu sehen, die hinter den Namen stehen.

Zu Zeiten Homers wurden solche Systeme laut Nassim nicht benötigt, weil so wenige Namen für Farben existierten, dass Homer  z. B.die Farbe des Meeres als weindunkel beschreibt. Damals gab es zwar die Farbe blau, aber es existierte kein Wort dafür. Das heißt, Homer konnte die Farbe blau zwar wahrnehmen, er hatte aber kein Begriff, um sie zum Ausdruck zu bringen.

Nachdem wir nun wissen, was unser Autor mit seinem Satz sagen will, ist es an der Zeit herauszufinden, was es mit unserem heutigen Begriff auf sich hat.

Was das Lexikon sagt

Zu meine großen Freude hält unser Lexikon auch heute einen passenden Eintrag für uns bereit.

rubrizieren <sw. V.; hat> [1: zu ↑Rubrik; 2: mlat. rubricare = rot schreiben]: a) in eine Rubrik (1a) einordnen; b) kategorisieren, klassifizieren.

Das Zeit Lexikon. Mit dem Besten aus der Zeit, Band 19, S. 1934.

Da ich zwar weiß, was eine Rubrik ist, aber keine Ahnung davon habe, was diese mit der Farbe rot zu tun hat, schauen wir uns nun noch den Lexikon-Eintrag „Rubrik“ an, bevor wir uns wieder dem Satz unseres Autors widmen.

Rubrik [auch: …brik], die; -, -en [spätmhd. rubrik(e), urspr. = roter Schreibstoff, dann: rot geschriebene Überschrift (die einzelne Abschnitte trennt), < lat. rubrica (terra) = rote Erde, roter Farbstoff; mit roter Farbe geschriebener Titel eines Gesetzes, zu: ruber = rot] (bildungsspr.): a) Spalte, in die etw. nach einer bestimmten Ordnung [unter einer bestimmten Überschrift] eingetragen wird: die -en einer Tabelle, einer Zeitung; das Blatt hat eine ständige R. [mit dem Titel] »Der Abgeordnete hat das Wort«; eine R. anlegen; etw. in die letzte R. eintragen; etw. in, unter einer bestimmten R. anführen, verzeichnen, finden; b) Kategorien, in die man jemand., etw. gedanklich einordnet.

Das Zeit Lexikon. Mit dem Besten aus der Zeit, Band 19, S. 1934.

Da wir nun wissen, warum Rubrik Rubrik heißt, können wir uns endlich wieder dem Satz unseres Autors widmen und schauen, ob wir diesen dank unseres Lexikons nun vollständig verstehen:

„Unsere Wahrnehmung und unsere Intuition, die in unseren Taten zum Ausdruck kommen, können dem überlegen sein, was wir wissen und kategorisieren, was wir mit Sprache diskutieren und in Klassenzimmern unterrichten.“

Ja, das passt.

Fazit

Der heutige Satz unseres Autors führt mir wieder einmal vor Augen, warum er so viele Fans hat, und ich keiner von diesen bin. In einem Satz den Begriff rubrizieren zu verwenden, der sich von der Farbe rot ableitet und anschließend die Entwicklung der Farbnamen zu erläutern, hat eine gewisse Eleganz, die mir beim Lesen völlig entgangen ist, weil ich den Begriff rubrizieren nicht kannte. Wer weiß, vielleicht sollte ich Nassims Bücher in 40 Jahren noch einmal lesen, um in den vollen Genuss seiner Worte kommen zu können.