Ruft Freundlichkeit Freundlichkeit hervor?
Vor wenigen Tagen gab es auf Twitter einen Post der behauptete, dass Berlin zur freundlichsten Stadt Deutschlands gewählt wurde. Als Urberlinerin kippte mir kurz die Kinnlade runter. Die Stadt, in der Busfahrer per Lautsprecher Sätze wie „Könnse mal det Kind ruhigstellen“ von sich geben, soll die freundlichste Stadt sein? Ich war mir sicher, dass da irgendwas nicht stimmen konnte, ging der Sache aber nicht weiter nach.
Als ich heute in
Martin A. Nowak & Roger Highfield: Kooperative Intelligenz. Das Erfolgsgeheimnis der Evolution
über den Satz „Freundlichkeit ruft Freundlichkeit hervor“ (S. 69) stolperte, dachte ich wieder an den Social Media Post und beschloss, diesem nachzugehen, um ihn als perfekten Einstieg für diesen Blogbeitrag zu nutzen. Allerdings hatte mein Bauchgefühl offensichtlich recht. Die Webseite inFranken schreibt, dass Berlin laut Expedia die freundlichste Stadt Deutschlands ist. Also habe ich den Beitrag durchforstet und bin auf folgende Quellenangabe gestoßen, die besagt, dass Berlin die schönste Stadt Deutschlands ist. Auch wenn Menschen schön freundlich sein können, sind schön und freundlich nicht dasselbe, und die Behauptung, Berlin sei die freundlichste Stadt Deutschlands, hat sich als eine waschechte Nachrichten-Ente entpuppt.
Nachdem wir nun geklärt haben, dass ich keine Quelle gefunden habe, dass Berlin die freundlichste Stadt Deutschlands ist, ist es nun an der Zeit, der Aussage „Freundlichkeit ruft Freundlichkeit hervor“ unserer Autoren nachzugehen. Haben sie recht oder handelt es sich auch bei dieser Aussage um eine Ente?
Freundliche Gesellschaften
Einer unserer Autoren, Martin Nowak, ist der Direktor des Institutes für evolutionäre Dynamik in Harvard. Im Rahmen seiner Arbeit erforscht er die Evolution. Hierfür greift er unter anderem auf Computersimulationen zurück, mit deren Hilfe er untersucht, ob kooperatives oder nicht kooperatives Verhalten im Verlauf der Evolution erfolgreicher ist.
Im Rahmen seiner Forschung hat Martin herausgefunden, dass Freundlichkeit in einer Gesellschaft ein guter Nährboden für Mitmenschlichkeit, Toleranz und Verständnis ist. Wenn viele Individuen in einer Gesellschaft anfangen, zu geben, hat das weitreichende Folgen darauf, wie wir uns verhalten, miteinander kommunizieren und denken.
Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber mir zaubern Martins Forschungsergebnisse ein Lächeln ins Gesicht. Die Vorstellung, in einer Welt zu leben, die auf Freundlichkeit und Großzügigkeit aufgebaut ist, finde ich einfach großartig. Noch großartiger finde ich allerdings, dass ich mich gleich an zwei Praxisfälle aus meinem Leben erinnere, die Martins Freundlichkeits-Theorie in meinen Augen bestätigen und die ich an dieser Stelle mit Dir teilen möchte.
Praxisfall 1: Freundlichkeit in den USA
Es ist nun gut zwei Jahrzehnte her, dass ich ein Jahr in den USA verbrachte. Damals war ich die totale Außenseiterin und hatte mich in dieser Rolle eingelebt. Um zu verhindern, dass mir jemand zu nah kam, kleidete ich mich mit Vorliebe in schwarze Klamotten und zog die Gesellschaft eines Buches einem menschlichen Kontakt vor. Damals war ich der festen Überzeugung, dass die Welt blöd ist, und ich ließ diese Überzeugung jeden spüren.
Das brachte mich auch dazu, die Frage „How are you?“, die die Amerikaner aus reiner Höflichkeit stellen und ein „fine“ oder „good“ als Antwort erwarten, jedes Mal provokant mit einer ehrlichen Antwort zu versehen. Wer mich also „How are you?“ fragte, bekam eine miesepetrige „deutsche“ Antwort. Nach einigen Wochen wurde mir dieses Spiel allerdings zu langweilig, und so begann auch ich die Frage mit „fine“ oder „good“ zu beantworten. Zu meiner großen Verwunderung sorgte das dafür, dass ich plötzlich Bekanntschaften mit meinen amerikanischen Klassenkameraden schloss.
Nach einem Jahr in den USA hatte ich endlich verstanden, dass aus positiven Gesprächseröffnungen positive Gespräche und positive Beziehungen entstanden. Also nahm ich diese Erkenntnis nach Deutschland mit und beantworte noch heute die Frage „Wie geht’s?“ in aller Regel mit „Großartig“. Denn die Sache ist die: So lange ich eine warme Wohnung und etwas zu essen habe, geht es mir in meiner Wahrnehmung großartig. Erst wenn eine dieser beiden Voraussetzungen nicht gegeben ist, habe ich das Gefühl, dass „Großartig“ nicht mehr die richtige Antwort auf „Wie geht’s?“ ist.
Dank meiner neuen Angewohnheit, das Wort „Großartig“ mehrere Male am Tag einzusetzen veränderte, sich mein Leben grundlegend. Aus der schwarz gekleideten Außenseiterin wurde Stück für Stück ein anderer Mensch. Ich liebe noch immer Bücher, doch inzwischen glaube ich, dass die Welt großartig ist und tue einiges dafür, dass meine Umwelt es auch spürt. Seitdem ich die Welt mit Freundlichkeit überhäufe, überhäuft mich die Welt mit Freundlichkeit.
Praxisfall 2: Freundlichkeit auf Twitter
In meinem letzten Job habe ich gelernt, dass Wissen wertvoll und hart erarbeitet ist und daher immer einen Preis hat. Ich habe auch gelernt, dass man Wissen für viel Geld verkaufen kann und davon gut leben kann.
Durch eine Zufall begegnete ich Anfang 2019 dem Konzept Working Out Loud, dessen zentrales Element es ist, Wissen zu verschenken, statt es zu verkaufen. Obwohl ich wusste, dass ich Wissen verkaufen könnte, zog mich die Idee, mein Wissen zu verschenken, magisch an, und ich beschloss, einen Blog zu starten, in dem ich mein Wissen verschenke. Um Leser für meinen Blog zu finden, begann ich zu twittern und entdeckte in den folgenden Monaten, dass ich auf Twitter nicht nur mein Wissen teilen, sondern auch neues Wissen finden konnte. Wenn ich auf Twitter eine Frage stellte, bekam ich in der Regel schnell eine Antwort, die mir weiterhalf. Das Konzept funktioniert so gut, dass ich mich manchmal ermahnen muss, erst selbst via Suchmaschine eine Antwort auf meine Fragen zu finden, statt ganz bequem einfach Twitter zu nutzen.
Fazit
Meine Erfahrungen aus den USA und auf Twitter beweisen mir, dass Martin recht hat, wenn er sagt, dass Freundlichkeit Freundlichkeit hervorruft. Dabei gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass dies kein 1 zu 1 Tauschgeschäft ist. Es dauert an manchen Stellen eine Weile bis das Prinzip greift. An dieser Stelle bin ich wie immer neugierig: Wie sind Deine Erfahrungen in Bezug auf Freundlichkeit? In welchen Situationen hast Du erlebt, dass Freundlichkeit Freundlichkeit hervorruft?
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