Weißt Du, was das Diskriminierungsparadox ist?

Du kommst hier nicht rein.

Vor Kurzem begegnete mir bei Twitter die Information, dass der Bundestag das diskriminierende Blutspendeverbot abschafft. In der alten Version des Gesetzes wurden Single Männern, die in den letzten 4 Monaten Sex mit Männern hatten von der Blutspende ausgeschlossen. Single Männer, die in den letzten 4 Monaten Sex mit Frauen hatten, durften dagegen spenden.

In der neuen Version des Transfusionsgesetzes wird

„ausdrücklich klargestellt, dass die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität der spendewilligen Person oder ihrer Sexualpartnerinnen und Sexualpartner bei der Bewertung des Risikos, das zu einem Ausschluss oder einer Rückstellung von der Spende führt, nicht berücksichtigt werden.“

Als ich die Nachricht las, war ich im ersten Moment entsetzt. Mir war schlichtweg nicht bewusst, dass es ein solch diskriminierendes Gesetz gab. Im zweiten Moment freute ich mich unglaublich, denn diese Änderung bedeutet einen wichtigen Schritt hin zu einer Welt in der ich leben möchte. Einer Welt, in der Menschen einander ohne Vorurteile begegnen.

Wo stehen wir in Sachen Diskriminierung?

Wenn es um das Thema Diskriminierung geht, scheinen in meiner Wahrnehmung zwei Welten zu existieren. In der einen Welt gibt es aufgrund gesetzlicher Bestimmungen und gesellschaftlichen Fortschritts immer weniger Diskriminierung. In der anderen Welt begegnen mir immer wieder neue Bereiche, in denen Menschen diskriminiert werden, ohne dass es mir bewusst war, weil ich mich mit diesen Bereichen vorher schlichtweg nicht befasst habe.

Durch diese zwei von mir wahrgenommenen Welten habe ich das Gefühl, dass wir uns in Sachen Diskriminierung ständig einen Schritt vor und zwei Schritte zurückbewegen. Der Schritt nach vorn in Sachen Blutspende wird begleitet von der Nachricht, dass Disneyfilme über Jahrzehnte hinweg rassistisch waren. Ein Schritt vorwärts in der Blutspende geht einher mit der Erkenntnis, dass unzählige „unschuldige“ Filme, aus meiner Kindheit Bilder vermitteln, die Diskriminierung den Weg bereiten.

Bewegen wir uns vorwärts, oder rückwärts?

Doch wie kann das sein. Wie können wir uns ständig in Sachen Diskriminierung stetig vorwärts bewegen und ich gleichzeitig das Gefühl haben, dass wir uns rückwärts bewegen? Zu meiner großen Freude bin ich in

Jörg Bernardy, Lisa Krusche: Ohne euch wär’s echt scheiße. Von Freundschaften, Netzwerken und politischen Bewegungen

In Form des Diskriminierungsparadoxes einer möglichen Antwort auf meine Frage begegnet.

Was ist das Diskriminierungsparadox?

Unsere Autoren erwähnen nicht nur den Begriff Diskriminierungsparadox, sie erläutern diesen auch wie folgt:

„Hier lautet die These, dass Diskriminierung zu einem so großen Problem wird, weil es weniger davon gibt.“

S. 65.
Warte, das ist Diskriminierung, oder?

Das Diskriminierungsparadox besteht also darin, dass wir immer weniger diskriminieren. Die Reduktion von Diskriminierung kann allerdings nur stattfinden, wenn wir existierende Diskriminierungen ansprechen.

Als sich Rosa Parks am 1. Dezember 1965 weigerte Ihren Sitzplatz aufzugeben, weil ein Weißer sitzen wollte, wusste sie, dass sie dafür verhaftet werden könnte. Dennoch blieb sie sitzen und ließ sich verhaften. Mit ihrem Verhalten schuf Rosa Aufmerksamkeit für eine Diskriminierung, die viele Menschen damals nicht wahrnehmen, weil es damals selbstverständlich war, dass weiße Menschen im Bus sitzen durften und andere Menschen nur, wenn ein Platz frei war. Am Anfang stand Rosas Gesetzverstoß, der eine Diskussion anregte, an deren Ende die Diskriminierung in Bussen in der Mottenkiste verschwand.

Wenn wir heute darüber sprechen, dass Disneyfilme diskriminierend waren, dass schaffen wir endlich den Raum für Filme wie die neue Arielle, deren Hauptrolle nicht durch eine weiße Schauspielerin besetzt wurde.

Ich diskriminiere nicht, oder?

Über viele Jahre hinweg dachte ich, dass ich niemals rassistisch oder diskriminierend bin. Doch bekanntlich werden wir mit dem Alter immer weiser.

Heute erkenne ich, dass ich in meiner Jugend durchaus diskriminierend war, wenn ich Sätze wie „Das ist doch voll schwul.“ oder „Bist Du behindert?“ formulierte. Damals war mir das nicht bewusst, weil diese Sätze in meinem sozialen Umfeld normal waren. Heute dagegen kommen mir diese Sätze nicht mehr über die Lippen, denn durch die gesellschaftliche Entwicklung in den letzten Jahren ist mir bewusst geworden, dass diese Sätze Menschen diskriminieren.

In Sachen Gendern, bin ich noch immer voll der Dino.

Mit ziemlicher Sicherheit bin ich auch heute noch diskriminierend und rassistisch. Zum Beispiel weigere ich mich noch immer standhaft in meinen Texten zu Gendern. Das liegt nicht daran, dass ich alle Menschen, die nicht männlich sind doof finde, sondern daran, dass Gendern in meiner Kindheit kein Thema war. Ich bin mit einer nicht gendernden Sprache groß geworden und kann mich bis heute in dieser schneller und besser ausdrücken als in einer gendernden Sprache. Die ersten gendernden Bücher, die mir in die Finger gekommen sind, haben mich stark frustriert, weil sie meinen Lesefluss gestört haben. Doch inzwischen begegnen mir immer wieder Bücher, die gendern, ohne dass es meinen Lesefluss stört. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich über die Zeit einfach an gendernde Texte gewöhnt habe, oder daran, dass sich so langsam bessere Genderformulierung finden (Ich hasse Freund_innen, Freund:innen macht mir dagegen nichts aus.). Doch eins weiß ich ganz gewiss: Spätestens wenn die Korrekturfunktion in Microsoft Word anfängt meine nicht gendernden Sätze  anzumarkern und mir sprachlich guten Ersatz für meine männlichen Formulierungen liefert werde auch ich beginnen meine Texte zu Gendern. Word hat mich in Sachen Kommasetzung verbessert, es hat in jedem Fall auch die Macht mich in Sachen Gendern zu verbessern. Also liebe Microsoft Word Entwickler: Ihr habt es in der Hand die Diskriminierung aller nicht männlichen Wesen auf dieser Welt weiter zu reduzieren. 😉

Doch zurück zur Frage: Ja, ich diskriminiere auch heute noch Menschen. Ich tue dies nicht absichtlich, sondern weil mir nicht bewusst ist, dass ich sie diskriminiere. Erst wenn Menschen mit mir über meine diskriminierenden Formulierungen diskutieren, kann ich dieser erkennen und von da an ist es ein weiter Weg der Einsicht und der Änderung von Gewohnheiten. Ich werde mit absoluter Sicherheit nie diskriminierungsfrei formulieren, doch ich werde mit ziemlicher Sicherheit in 10 Jahren viel diskriminierungsfreier formulieren, als ich dies heute tue.

Fazit

Dank des heute gesammelten Wissens über das Diskriminierungsparadoxes, kann ich nun entspannter mit all den Diskriminierungsdiskussionen umgehen, die mich umgeben. Jede Diskussion bringt uns ein Schritt voran, auch wenn sie zuweilen anstrengend ist.

Die Welt ist in den letzten Jahren auf zahlreichen Ebenen wie zum Beispiel der sexuellen Orientierung und Vorlieben viel bunter geworden und ich finde es großartig, dass Filme und Serien diese neue Farbenwelt sichtbar machen. Auch wenn es mich ab und an frustriert, wenn Serien wie Star Trek Discovery vor lauter Konzentration auf eine diverse Rollendarstellung eine zu schwache Story haben, erlebe ich Serien wie Star Trek Strange New World, in denen die diverse Rollendarstellung mit einer starken Story einhergeht als Hochgenuss.

Um die Diskriminierung zu beseitigen, brauchen wir Geduld, Augenhöhe, Verständnis, Einsicht und Toleranz. In den letzten Jahren haben wir in der Diskriminierung von Menschen große Fortschritte gemacht. Doch damit geben wir uns nicht zufrieden. Wir beginnen zu erkennen, dass nicht nur Menschen, sondern auch Leben, also zum Beispiel Tiere diskriminiert werden, wenn sie für den menschlichen Verzehr gezüchtet werden und unter unwürdigen Bedingungen leben. Wer weiß, vielleicht gelingt es uns irgendwann auch dieses Unrecht zu beseitigen. 

Für mich endet dieser Beitrag mit der Erkenntnis, dass wir uns in Sachen Diskriminierung auf einem sehr guten Weg befinden. Daher bin ich an dieser Stelle neugierig: Wie erlebst Du die Entwicklung? Welche Fortschritte sind Dir in den letzten Jahren besonders aufgefallen? An welchen Stellen haben wir noch Luft nach oben.

6. Oktober 2023
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7 minBücher
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Buchcover von Joerg Bernardy Lisa Krusche Ohne euch waers echt scheisse. Von Freundschaften Netzwerken und politischen Bewegungen
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Das Buch, das diesen Beitrag inspiriert hat, habe ich als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Das bedeutet, ich habe das Buch kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen, um darüber zu schreiben.

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Buchcover von Joerg Bernardy Lisa Krusche Ohne euch waers echt scheisse. Von Freundschaften Netzwerken und politischen Bewegungen

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6. Oktober 2023
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  1. Holger 6. Oktober 2023 at 16:16 - Reply

    Es gibt sehr viele Paradoxe, nicht nur in Hinsicht aus Diskriminierung. Wir werden es sprachlich nie schaffen können, Diskriminierung komplett zu entfernen. Wir wollen es wahrscheinlich nicht, trotzdem wird es sprachlich weiter passieren (ohne Absicht, wie erwähnt). Im Film Welt am Draht wird auch ein Phänomen (Paradox) erwähnt, was ich allerdings nicht kapiere (obwohl ich mir alles darüber durchgelesen habe). Da konnte Achilleus (schnellster Läufer aller Zeiten) eine Schildkröte nie einholen. Xeno-Paradox heißt dies – kapiere ich aber nicht, wie schon geschrieben -> https://info-allerlei.de/welt-am-draht.html

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