Könnte das Losverfahren der Weg in eine gerechte Welt sein?
Manche Dinge gibt es schon so lang, dass wir gar nicht groß darüber nachdenken. Für mich gehören Wahlen zu diesen Dingen. Ich möchte in einer Demokratie leben, also gehe ich wählen, obwohl ich noch nie ein Parteiprogramm gelesen habe, dem ich zu 100 % zustimme. Laut dem Autor

Roman Krznaric: Der gute Vorfahr. Langfristiges Denken in einer kurzlebigen Welt
gehören demokratische Wahlen zu den Dingen auf unserer Welt, die uns daran hindern, gute Vorfahren zu sein, weil sie den Zeithorizont der Regierenden auf eine Wahlperiode begrenzen. Ein Politiker wird nicht wiedergewählt, weil seine Politik in 200 Jahren etwas Positives bewirken wird. Er wird gewählt, weil er seinen Wählern das Gefühl gibt, dass er die aktuelle Situation verbessern kann. Roman berichtet in seinem Buch über Zeitrebellen, die genau diesen Umstand ändern wollen. Er schreibt:
„Es ist ihr Ehrgeiz, den Zeithorizont der demokratischen Regierungsführung zu erweitern und ihn vor den kurzfristigen Politikschaffenden zu retten, die keine langfristige Sichtweise einnehmen, weil sie vom Sturmwind der Wahlen, Meinungsumfragen und Tagesnachrichten durcheinandergewirbelt werden.“
S. 207.
Um ihr Ziel zu erreichen, gehen die Zeitrebellen unterschiedliche Wege, denen Roman ein ganzes Kapitel seines Buches widmet. Was in meinem Kopf hängen geblieben ist, ist die Sache mit dem Losverfahren, weil ich in Romans „Der gute Vorfahr“ nicht zum ersten Mal davon gelesen habe, dass ein Losverfahren eine Alternative zu Wahlen wäre.
Das Losverfahren als Auswahlverfahren
Das Losverfahren ist keine radikale neue Idee. Das Losverfahren wird in Deutschland aktuell genutzt, um Schöffen für ein Schöffengericht zu ermitteln, wenn es nicht genügend Freiwillige gibt, die sich als Schöffe zur Verfügung stellen.
In der Athenischen Demokratie die von 508/07 bis 322 v. Chr. existierte, konnte jeder Bürger ein Amt bekleiden. Mit jeder Bürger ist allerdings nicht jeder Einwohner gemeint. Frauen, Ausländer und Sklave wurden nicht zu den Bürgern gezählt und durften daher auch keine Ämter bekleiden. Die Ämter wurden mit Hilfe von Wahlen oder durch das Losverfahren bestimmt. Welche Ämter gewählt und welche verlost werden, erklärt dieses YouTube Video.
Wie könnte ein Losverfahren aussehen?
Wenn ich irgendetwas auf der Welt nicht sein möchte, dann ist es definitiv Politikerin. Obwohl ein Losverfahren zur Ermittlung von Politikern für mich das Risiko birgt, dass ich Politikerin werden könnte, finde ich die Vorstellung spannend. Die Frage lautet nur: Wie genau könnte ein solches Losverfahren aussehen?

Im Gegensatz zur athenischen Demokratie müssten mit „Bürger“ jeder Bürger gemeint sein. Sprich, jedes Lebewesen, mit dem wir verständlich kommunizieren können, kann durch das Los getroffen werden. Während in der Athener Demokratie ein Teil der Menschen vom Losverfahren ausgeschlossen wurde, wünsche ich mir ein Losverfahren, dass kein einziges menschliches Lebewesen ausschließt. Sollten wir irgendwann in der Lage sein, mit Ameisen zu kommunizieren, so könnten auch sie per Losverfahren für ein Amt berufen werden.
Während es bei dem Losverfahren der Schöffenwahl Ausnahmen gibt (dazu gehören sowohl Personen, die nicht ausgelost werden dürfen, als auch Personen, die die Berufung als Schöffe ablehnen können), wäre ich dafür, dass das politische Losverfahren keine solchen Ausnahmen zulässt. Wird ein im Gefängnis sitzender Mörder per Los zum Politiker gewählt, bleibt er im Gefängnis und übt sein Amt von dort aus. Wird jemand berufen, der einen Angehörigen pflegt, so erhält die zu pflegende Person eine Ersatzpflege, die eine bessere Betreuung ermöglicht als durch den Berufenen selbst.
Obwohl mein mathematisches Wissen in Sachen Zufälle mangelhaft ist, würde ich das Losverfahren zufällig stattfinden lassen. Damit besteht zwar die Gefahr, dass in einer Wahlperiode eine Bevölkerungsgruppe in der Regierung überwiegt, mein Bauchgefühl sagt mir aber, dass der Zufall dies auf lange Sicht ausgleichen würde.
In Sachen Amtsdauer mag ich die Art und Weise wie die Athener verfahren sind. Je kleiner der Machtbereich für das Amt ist, desto länger ist die Amtsdauer. Je höher der Machtbereich, desto kürzer ist die Amtsdauer. Ämter auf der höheren Ebene werden aus Personen rekrutiert, die geringere Ämter innehaben. Jeder, der einmal das höchste Amt innehatte, fällt aus dem Losverfahren heraus und kann nie wieder ein Amt übernehmen.
Mein Traum: Die wissenteilende Gesellschaft ohne Grenzen
Ich bin mir absolut sicher, dass das von mir gerade schnell erdachte Losverfahren nicht perfekt ist und viel Luft nach oben hat. Doch für mich war es wichtig, dieses Verfahren einmal zu durchdenken, da es für mich die Basis von etwas ist, das ich mir von Herzen wünsche: Eine Gesellschaft, die ihr Wissen teilt und dabei keine Grenzen kennt.

Dank des Internets, in dem viele Menschen ihr Wissen teilen, leben wir zu meiner großen Freude zum Teil schon in einer solchen Gesellschaft. Das Internet kennt keine nationalen Grenzen. Ich kann von Berlin aus fast alle deutschen, polnischen, russischen, thailändischen oder kanadischen Webseiten öffnen, die es gibt. Die einzige echte Barriere, die mir im Internet regelmäßig begegnet ist die Sprachbarriere. Dank Übersetzungstools wie Deepl lassen sich aber auch solche Barrieren zum Teil sehr leicht überwinden.
Was mich am Internet zudem fasziniert, ist, dass es an vielen Stellen verstanden hat, dass Zusammenarbeit besser ist als Konkurrenz. Ein Beispiel für diese Zusammenarbeit ist für mich WordPress, das System, auf dem auch meine Webseite basiert. 2020 basierten 39,1 % aller Webseiten im Internet auf WordPress, einem technischen System, dass kostenlos ist, weil es von einer weltweiten Community aus Freiwilligen programmiert wird. Ich habe mich damals für WordPress entschieden, weil es kostenlos ist und ich keine Ahnung hatte, ob dieser Blog jemals auch nur einen Cent erwirtschaften würde. Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Blog je an den Start gegangen wäre, wenn es WordPress nicht gegeben hätte.
Das, was im Internet funktioniert, wünsche ich mir auch für die reale Welt. Dass es heute Nationalstaaten und Regierungen gibt, ist der Geschichte geschuldet. Nationalstaaten haben die leidige Eigenschaft, sich zu bekriegen. Ich habe die Hoffnung, dass wir mit Hilfe eines Losverfahrens in der Lage wären, diese lästigen Nationalstaaten endlich los zu werden und unsere Welt als das zu begreifen und zu regieren, was sie ist: Ein großes Ganzes. Wenn jene die Macht haben, die per Los ermittelt werden, kann es keine Machtanhäufung geben. Jeder hat die Chance mitzugestalten. Es gibt keinen Grund, sich zu bekriegen. Für Straftaten wie Morde gäbe es auch weiterhin Gerichte.
Fazit
Es tut mir leid, wenn dieser Beitrag etwas wirr ist. Er stellt lediglich einen Versuch dar, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie wir Dinge besser machen können. Ich bin allerdings auch der festen Überzeugung, dass es keinen einzigen Menschen auf der Welt gibt, der diese Antwort kennt. Ich glaube, wir können diese Antwort nur gemeinsam finden. Also: Was sagst Du? Könntest Du Dir vorstellen, dass ein Losverfahren funktionieren könnte? Wie würdest Du so ein Verfahren gestalten?
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Das Buch, das diesen Beitrag inspiriert hat, habe ich als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Das bedeutet, ich habe das Buch kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen, um darüber zu schreiben.
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