Was ist besser, ein Telefon- oder ein Videoanruf?

Ein Videoanruf, oder?

Seit fast einem Jahrzehnt arbeite ich hauptberuflich remote. In den ersten Jahren habe ich dabei hauptsächlich per Telefon mit meinem Team kommuniziert. Seit 2020 ist der Videocall an die Stelle des Telefonats gerückt. Ich persönlich bevorzuge den Videocall, weil ich sehen kann, was mein Gegenüber tut. Dank des Videos bekomme ich zusätzliche Informationen, die ich im Telefonat nicht hätte. So kann ich sehen, ob mein Gesprächspartner gerade von eine anderen Teammitglied angesprochen wird, ob er gerade am PC sitzt oder unterwegs ist. All diese zusätzlichen visuellen Informationen vereinfachen mir die Kommunikation mit meinem Gegenüber.

Zu meiner großen Überraschung bin ich bei

Friederike Fabritius: Flow@Work. Gehirngerecht führen – die besten Leute gewinnen und halten

über die Information gestolpert, dass das klassische Telefonat in Sachen Empathie dem Videocall überlegen sein soll. Sie schreibt:

„Bei einem reinen Sprach-Anruf besitzen die Teilnehmer laut einer Studie des Sozialpsychologen Michael Kraus von Yale School of Management aus dem Jahr 2017 eine höhere »empathische Genauigkeit« als bei einem Videoanruf. Unter empathischer Genauigkeit versteht man die Fähigkeit, die inneren Zustände einer anderen Person zutreffend zu erschließen. Kraus‘ Fazit lautet, dass die meisten Menschen bei einem reinen Sprachanruf konzentrierter sein dürften.“

S. 219.

Zu meiner großen Freude ist die Aussage mit einer Fußnote versehen, die uns verrät, dass die Information aus dem 11-seitigem und onlineverfügbaren Artikel Michael W. Kraus: Voice-Only Communication Enhances Empathic Accuracy stammt.

Es gibt viele Gründe, die für Video sprechen.

Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber ich dachte bin jetzt, dass ein Videoanruf einem Telefonanruf immer überlegen ist, weil wir hier auch die Mimik und Gestik unseres Gegenübers sehen können, die uns zusätzliche Informationen liefert. Wir können sehen, ob es gelangweilt ist oder gespannt zuhört. Bei einem Telefonat fehlen all diese Informationen. Daher frage ich mich, wie Michael auf sein Fazit gekommen ist. Um diese Frage zu beantworten, schauen wir uns seine Studie nun etwas genauer an.

Was besagt Michaels Artikel im Detail?

Gleich am Anfang seines Artikels schreibt Michael, dass die zusätzlichen Informationen, die uns ein Videocall liefert, die empathische Genauigkeit verringern. Wir bekommen mehr Informationen, aber diese lenken uns von den Informationen ab, die uns die Stimme unseres Gegenübers liefert:

“In the present research, we suggest that one potent barrier to empathic accuracy is the ways in which emotion expressions across modalities divide our attention between more and less relevant channels of communication.”

Hinzu kommt, dass Menschen in der Lage sind, ihre Gesichtsausdrücke bewusst zu steuern. Dadurch können sie reale Emotionen, die sie im Gespräch empfinden maskieren.

Visuelle Ablenkung vs. Audio Fokus

Keine visuelle Ablenkung.

Das, was unsere Autorin bzw. Michael schreiben, deckt sich mit meinen früheren Erfahrungen. Als ich noch im Verkauf war, habe ich mit meinen Kunden nur telefoniert. Während der Gespräche habe ich mir im wahrsten Sinne ein eigenes Bild von meinen Kunden gemacht. Wenn ich später ein Foto meines Kunden sah, war ich oft erstaunt, weil ich ihn von der Stimme her völlig anders eingeschätzt hatte. Im Nachhinein war ich dann oft froh, dass wir nur telefoniert hatten, weil ich dadurch den wahren Menschen kennenlernen konnte und nicht von äußeren Merkmalen abgelenkt wurde. Im Kennenlernen ist der Audiokanal meiner Erfahrung nach also genial. 

Anders schaut es bei meinen Grow Buddy Gesprächen aus. Mit jedem meiner Grow Buddys spreche ich ca. einmal im Monat. 3 von 4 Grow Buddys treffe ich seit einigen Jahren in einstündigen Videocalls. Die zusätzlichen Informationen, die mir das Video vermittelt, empfinde ich als hilfreich. Nicht nur können wir uns Bücher und ähnliche Dinge zeigen, die uns gerade beschäftigen, wir sehen auch, wie es dem anderen gerade geht, bzw. was ihn gerade beschäftigen könnte. Die zusätzlichen visuellen Informationen haben zum Teil einen großen Einfluss auf den Verlauf des Gespräches. 

Fazit

Die Antwort auf die Frage, ob ein Telefon- oder ein Videoanruf besser ist, ist von Deinem Ziel und von der Person abhängig, mit der Du sprichst. Wenn es Dir wichtig ist, mehr über die inneren Zustände Deines Gegenübers zu erfahren, ist ein Telefonanruf besser. Wenn Du dagegen wissen möchtest, ob der andere gerade mit Dir oder einer anderen Person in seinem Raum spricht, ist ein Videocall besser.

Dank dem, was ich heute gelernt habe, werde ich Telefon- und Videocalls in Zukunft bewusster einsetzen.

An dieser Stelle bin ich wie immer neugierig. Wie ist Deine Erfahrung in Bezug auf Telefon- und Videocalls? 

4. Dezember 2023
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Das Buch, das diesen Beitrag inspiriert hat, habe ich als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Das bedeutet, ich habe das Buch kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen, um darüber zu schreiben.

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4. Dezember 2023
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