Weißt Du, was Diadochenkämpfe sind?

Dieser Begriff ist mir zum ersten Mal bei

Joachim Scholtyseck: Reinhard Mohn. Ein Jahrhundertunternehmer

begegnet. Das Buch schildert, wie der Unternehmer Reinhard Mohn die Geschichte des Bertelsmann Verlag von 1947 bis 1999 gestaltete. 1969 erweiterte Reinhard das Geschäft des Verlages und beteiligte sich an einem Zeitschriftenverlag. Dass sich ein Buchverlag an einem Zeitungsverlag beteiligte, wurde in der Verlagslandschaft nicht sehr positiv aufgenommen. Doch das interessierte Reinhardnicht sonderlich, wie unser Autor im folgenden Satz beschreibt:

„Die Diadochenkämpfe der Medienleute ließ er geschehen und profitierte von seiner besonnenen Verlagspolitik.“

S. 59.

Ich vermute, dass uns der Autor mit dem Begriff Diadochenkämpfe eine genauere Vorstellung von der Situation der damaligen Verlagslandschaft geben möchte. Lass uns doch einmal schauen, ob unser Lexikon uns dabei helfen kann, den Satz unseres Autors zu verstehen.

Was das Lexikon sagt

Heute verrät uns unser Lexikon nicht nur, was es mit den Diadochenkämpfen auf sich hat, sondern auch was ein Diadoche ist.

Diadochenkämpfe <Pl.> [nach den Auseinandersetzungen um die Ausdehnung der Reiche der Diadochen (1)] (bildungsspr.) Konkurrenzkampf zweier od. mehrerer Anwärter um die Nachfolge für ein bedeutendes, einflussreiches Amt.

Das Zeit Lexikon. Mit dem Besten aus der Zeit, Band 17, 495.

Diadochen [grch. »Nachfolger«], die Feldherren Alexander d. Gr., die sich nach dessen Tod (323 v. Chr. sein Reich teilten: Antipater (nach ihm Kassander) behielten Makedonien, Lysimachos erhielt Thrakien, Antigonos I. Monophthalmos Lykien, Pamphylien und Phrygien, Ptolemaios I. Soter Ägypten, Seleukos I. Nikator Babylonien. Nach langen Kämpfen der D. untereinander bildeten sich etwa seit 280 v. Chr. unter der folgenden Generation die 3 großen hellenist. Reiche: Ägypten unter den Ptolemäern, Syrien, Mesopotamien, Iran unter den Seukliden, Makedonien unter den Antigoiden, später das Reich von Pergamon unter den Attaliden.

Das Zeit Lexikon. Mit dem Besten aus der Zeit, Band 03, S. 435.

An dieser Stelle wissen wir nun, dass unser Autor uns sagen möchte, dass es damals Nachfolgekämpfe unter den Medienleuten gab. Doch damit geben wir uns nicht zufrieden. Wir gehen einen Schritt weiter und versuchen mit Hilfe des Internets herauszufinden, um welche Nachfolge es hier ging.

Was das Internet sagt

Da ich keine Vorstellung von der deutschen Medienlandschaft habe, habe ich den Eintrag zur deutschen Pressegeschichte bei Wikipedia überflogen. Hier steht, dass die deutsche Presselandschaft durch die beiden Weltkriege herbe Rückschläge erlitten hat. Nach den beiden Kriegen entstand unter starker Kontrolle der jeweiligen Alliierten eine neue Presselandschaft. In diesem neuen Markt waren viele Teilnehmer unterwegs, die sich einen erbitterten Verdrängungswettbewerb lieferten, der damit endete, dass es 1954 nur noch wenige große Verlage gab, die den Pressemarkt dominierten.

Im deutschen Pressemarkt ging es zu dieser Zeit also ähnlich zu wie im Reich Alexander des Großen nach dessen Tod. Alexander hatte zu seinen Lebzeiten ein gigantisches Reich aufgebaut. Nach seinem Tod gab es niemanden, der das ganze Reich hätte führen können, und so zerfiel es. Die neuen Herrscher waren vier ehemalige Feldherren Alexanders. Statt sich mit ihrem Stück des Kuchens zufrieden zu geben, wollten die Feldherren jeweils mehr und bekämpften sich gegenseitig, um das eigene Stück vom Kuchen zu vergrößern. Am Ende der Diadochenkämpfe gab es nicht mehr vier, sondern nur noch drei Reiche. In der deutschen Presselandschaft ging es nicht darum, ein Reich, sondern einen Markt aufzuteilen. Die Beteiligten an den Kämpfen waren keine Feldherren, sondern Verleger. Die Verleger wollten genau wie die Feldherren mehr vom Kuchen. Wie bei den Feldherren gelingt es am Ende der Geschichte keinem der Verleger den ganzen Markt zu beherrschen. Allerdings ist es einigen gelungen, dadurch einen deutlich größeren Teil des Kuchens zu ergattern, indem sie sich zusammenschlossen.

Ich vermute, dass unser Autor sich mit seiner Bemerkung zu den Diadochenkämpfen auf diesen Verdrängungswettbewerb bezieht, damit aber noch mehr meint. Um dies zu verstehen, müsste ich mich sehr intensiv mit der deutschen Presselandschaft vor und nach dem ersten Weltkrieg und nach dem zweiten Weltkrieg beschäftigen. Ich müsste mir anschauen, nach welchem Prinzip sich die Verlage nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierten. Doch hierfür fehlt mir heute die Zeit. Solltest Du Dich in diesem Bereich besser auskennen, freue ich mich darüber, wenn Du Dein Wissen mit mir teilst.

Fazit

Wir wissen nun, was es mit den Diadochenkämpfen auf sich hat. Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber dieser Begriff wird es definitiv nicht in meinen aktiven Wortschatz schaffen. Stattdessen werde ich auch in Zukunft lieber von Nachfolgekämpfen sprechen, um damit sicher zu sein, dass mein Gegenüber genau weiß, wovon die Rede ist.