Ist es gut für ein Unternehmen, wenn seine Mitarbeiter im Stress sind?

Gibt mir nur ein paar Tage fürs Ankommen.

Wir leben in einer Zeit, in der es völlig normal ist, dass Menschen gestresst sind. Dank Digitalisierung und Co. scheint sich die Welt immer schneller zu drehen. Einst brachte der Brief Informationen binnen Tagen von A nach B, heute gelangen sie per E-Mail binnen Sekunden an nahezu jeden Ort der Welt. Statt mehrere Tage darauf zu warten, dass die Antwort auf einen Brief eintrifft, ist es inzwischen nicht ungewöhnlich, dass an einem Tag gleich mehrere E-Mails zu einem Thema hin und her gehen.

Dank dieser unglaublichen Kommunikationsgeschwindigkeit können wir Aufgaben heute schneller erledigen als je zuvor, und normalerweise müssten wir uns darüber freuen. Doch irgendwie feiern wir die neue Geschwindigkeit nicht. Statt uns zu freuen, dass die Sache so schnell erledigt ist, und die Zeit, die wir sonst mit Warten verbracht hätten, in Form von Freizeit zu genießen, nutzen wir die frei gewordene Zeit, um mehr Dinge gleichzeitig zu erledigen.

Nicht selten führt die Fähigkeit, jederzeit viele Dinge gleichzeitig erledigen zu können, zu Stress und teilweise sogar zu Ängsten, denn irgendwie haben Deadlines und Co. die fiese Angewohnheit, dass sie sich um einen bestimmten Termin gesellen.  Und spätestens dann wird uns klar, dass wir nicht alles gleichzeitig schaffen können. Plötzlich müssen wir wichtige Fragen beantworten:

  • Was hat jetzt Priorität?
  • Welcher Schaden entsteht, wenn diese oder jene Deadline gerissen wird?
  • Wo bekomme ich zusätzliche Ressourcen her?
  • Gibt es eine Möglichkeit, schneller zum Ziel zu kommen?

Das Blöde an dieser Situation ist, dass wir aufgrund unseres Stresses, so lautet die Erkenntnis von

Matthias Horx: Das Buch des Wandels. Wie Menschen Zukunft gestalten,

in diesen Momenten häufig nicht in der Lage sind, gute Entscheidungen zu treffen.

Das Stressexperiment

Ich sehe was, was Du nicht siehst.

Jennifer Whitson wollte wissen, ob und wie Stress die Wahrnehmung von Menschen und damit deren Entscheidungen beeinflusst. Also schnappte sie sich

  • ein Bild, auf dem ein chaotisches Muster an Punkten zu sehen ist,
  • ein paar x-beliebige Kennzahlen eines Unternehmens,
  • ein paar nichtssagende Börsendaten

und machte mit diesen ein Experiment. Im Rahmen des Experiments setzte sie einen Teil der Probanden unter Stress und gab ihnen dann die Daten- und Punkteblätter in die Hand.

Die Hälfte der gestressten Teilnehmer war in der Lage, in dem chaotischen Punktemuster Dinge wie

  • Totenköpfe,
  • Sanduhren oder
  • Delphine

zu erkennen.

Auch die Wahrnehmung von echten Daten wurde von Stress beeinflusst. So erkannten die gestressten Teilnehmer des Experiments in den willkürlichen Unternehmens- und Börsendaten „eindeutige Trends“.

Muster erkennen rettet Leben

Du schaust schon sehr lecker aus.

Warum erkennen wir unter Stress Dinge, die wir normalerweise nicht sehen? Nun, es war einmal ein Mensch, der in Höhlen lebte und täglich damit rechnen musste, als Frühstück eines hungrigen Säbelzahntigers zu enden. In Stresssituationen Muster erkennen zu können, die die Anwesenheit eines Säbelzahntigers verrieten, retteten damals Leben. Ganz offensichtlich gilt diese Fähigkeit auch noch für die Nachfahren dieser meisterlichen Muster-Erkenner.

Die Gabe, unter Stress rettende Muster zu erkennen, die unseren Vorfahren das Leben rettete, lässt uns heute „eindeutige Trends“ erkennen, wo es gar keine gibt, und sorgt so für die ein oder andere Entscheidung, die wir im entspannten Zustand so nie getroffen hätten. Der Stress sorgt dafür, dass unser Gehirn übersensibel ist, und die Angst schärft unsere Sinne.

Das Problem an dieser Stelle ist, dass Stress uns Muster erkennen lässt, die gar nicht da sind. Wenn also ein gestresster Manager in Daten einen Megatrend erkennt und in seinem Unternehmen ein hohes Risiko eingeht, um diesen Trend mitzunehmen, können die Folgen katastrophal sein, wenn sich herausstellt, dass der Trend nie existiert hat.

Wir wollen die Welt begreifen

Magst Du mein Lebensabschnittsgefährte sein?

Doch Stress betrifft nicht nur die Entscheidungen in unserer Arbeit. Stress hat auch großen Einfluss auf unsere Gesellschaft als Ganzes. Wir leben in einer Zeit, in der die Zukunft so ungewiss erscheint wie noch nie, zudem leben wir länger. Vor langer Zeit war Normal, dass eine Frau ein Mal im Leben heiratete und ein Mann Leben lang ein und den gleichen Job machte. Heute ist es völlig normal, dass uns mehrere (Ehe)Partner und Jobs durchs Leben begleiten.

Für manche Menschen ist dieser Zustand ein Traum. Sie freuen sich, dass sie nicht gezwungen sind, in einer Beziehung zu leben, die ihnen keine Freude mehr bereitet. Und sie sehen in jedem neuen Job eine Herausforderung, an der sie wachsen können. Für andere Menschen ist dieser Zustand der pure Stress, weil der ständige Partner- und Jobwechsel mühsam etablierte Routinen zerstört und immer wieder aufs Neue Ungewissheiten mit sich bringt.

Wenn der Stress des unkontrollierbaren Neuen ein gewisses Level übersteigt, erkennen wir plötzlich Muster, wo keine sind. Daher sind laut unserem Autor Aberglaube und Verschwörungstheorien mit psychischer Anspannung verknüpft.

Auf mich bezogen stimmt die Aussage unseres Autors. Ich erinnere mich gut an eine solche Situation im letzten Jahr:

  • Ich war im absoluten Prüfungsstress.
  • Plötzlich bekam ich die Nachricht, dass die Prüfung digital zu Hause unter Kamerabeobachtung und nicht vor Ort stattfinden würde.
  • Kurz vor der Prüfung klingelte mein Telefon, mein Vater war im Krankenhaus, und der Arzt hatte Fragen zur Patientenverfügung.

Ich erinnere mich noch ganz genau an den Moment, in dem ich in meinem für die Prüfung leergeräumten Badezimmer stand, vor Erschöpfung heulte und dachte „Das ist eine Prüfung. Das Universum versucht, mich zu brechen. Es wird weiter nachtreten und mir Steine in den Weg legen.“ Und plötzlich sagte ich laut in meinem Badezimmer, in dem ich völlig allein war „Liebes Universum, ich stehe noch! Du wirst mich nicht brechen. Leg nur nach. Ich werde daran wachsen. Du wirst schon sehen.“  Das Universum erhörte meinen Ruf und legte in den kommenden Wochen noch einmal ordentlich nach – und ich erfüllte mein Versprechen.

Fazit

Stress, auf den wie in meinem Fall Erholungsphasen folgen, ist durchaus etwas Gutes und trägt zum persönlichen Wachstum bei. Dauerstress dagegen sorgt für schlechte Entscheidungen aufgrund „eindeutiger Trends“ oder „glasklarer Pläne des Universums“. Mit dieser Erkenntnis ist es in meinen Augen an der Zeit, innezuhalten und zu schauen, wie wir die aktuellen „Dauerstress-Systeme“ umbauen können in „Stress-gefolgt-von-Erholungs-Systemen“.

In meiner Wahrnehmung liegt die Aufgabe, solche Systeme zu schaffen, bei jedem von uns. Den ersten Schritt kann jeder von uns machen, indem er seinen (für andere oft unsichtbaren) Dauerstress für sich und andere erkennbar macht und gemeinsam nach Wegen sucht, wie dieser behoben werden kann. Vielleicht fangen wir damit im Familienumfeld an. Wenn es uns hier gelungen ist, einen Weg zu finden, können wir die Erkenntnisse in unser Arbeitsumfeld tragen und so ein Schritt nach dem anderen unseren Beitrag zum neuen Umgang mit Stress in unserer Welt erschaffen.

Ich hab Angst hinzusehen.

Unser Autor schreibt

„Angst verändert das Spektrum der Möglichkeiten.“ S. 58.

Ich bin der festen Überzeugung, dass auch Vertrauen das Spektrum unserer Möglichkeiten verändert. Zumindest hat sich mein Leben massiv verändert, seitdem ich aufgehört habe, Angst davor zu haben, dass ich den Erwartungen der Menschen um mich herum nicht gerecht werde und begonnen habe, darauf zu vertrauen, dass alles gut werden wird. Seitdem ich darauf vertraue, dass jeder Mensch großartig ist, wenn wir nur lang genug hinschauen, habe ich viele großartige Menschen entdeckt.

An dieser Stelle bin ich wie immer neugierig. Hast Du Erfahrungen mit Dauerstress? Hast Du Menschen erlebt, die ihrem Dauerstress erfolgreich entgehen konnten?

 

 

3. August 2021
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Buchcover zum Beitrag
Ein Männchen mit vier Armen wirbelt 8 Bücher durch die Luft.
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6,7 min readCategories: Bücher, Wissen

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Ein Männchen mit vier Armen wirbelt 8 Bücher durch die Luft.

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3. August 2021
Werbehinweis, der besagt, dass das Buch zu diesem Beitrag von einem Verlag kostenlos zur Verfügung gestellt wurde.Weißt Du was Babel ist?
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  1. Maria von du-bist-grossartig.de 2. Januar 2024 at 06:08 - Reply

    In dem Buch der Autorin

    Nicole Krieger: Die Gastgeber-Methode. Konferenzen, Tagungen, Veranstaltungen, Diskussionen kompetent und erfolgreich moderieren

    bin ich über eine Studie gestolpert, die laut unserer Autorin zu dem Schluss kommt,

    „dass Stress die Fähigkeit zur Empathie hemmt“ S.32.

    Die Studie trägt den Titel

    „Loren J. Martin, Georgia Hathaway, Kelsey Isbester, Sara Mirali, Erinn L. Acland, Nils Niederstrasser, Peter M. Slepian, Zina Trost, Jennifer A. Bartz, Robert M. Sapolsky, Wendy F. Sternberg, Daniel J. Levitin, Jeffrey S. Mogil: Reducing Social Stress Elicits Emotional Contagion of Pain in Mouse and Human Strangers“

    und hat sich mit der Anteilnahme von Menschen und Mäusen an körperlichem Schmerz beschäftigt. Der Anfang des Studienzusammenfassung auf der Webseite auf der sie Studie heruntergeladen werden kann lautet:

    „Empathy for another’s physical pain has been demonstrated in humans [1] and mice [2]; in both species, empathy is stronger between familiars. Stress levels in stranger dyads are higher than in cagemate dyads or isolated mice [2, 3], suggesting that stress might be responsible for the absence of empathy for the pain of strangers.“

    https://www.cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822(14)01489-4#%20

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