Was ist eigentlich divers?

Bin ich jetzt ein m, ein w oder ein d?

Hast Du Dich schon einmal gefragt was es mit dem d in (m/w/d) auf sich hat, das seit einigen Jahren hinter den meisten Stellenausschreibungen auftaucht? Ich weiß, dass es für divers steht. Als mir der Begriff das erste Mal begegnete, klebte ich vor Wut fast unter der Decke. Für mich ist es völlig klar, dass es auf der Welt Frauen, Männer und Menschen gibt, die sich weder als Frau noch als Mann einordnen. Mir war allerdings schleierhaft, war wie irgendjemand auf die dusslige Idee kommen konnte, letztere als divers zu bezeichnen. Als ich den Begriff das erste Mal hörte, dachte ich, dass er so etwas wie „diverser Kram“ bedeuten soll und fand es falsch, Menschen so zu betiteln. Divers klang in meinen Ohren einfach falsch. Der Begriff fühlte sich für mich so unmenschlich an, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass sich jemand auf dieser Welt wohl fühlen könnte, wenn er als divers bezeichnet wird. Die Wut über die schlechte Begriffswahl war ein Grund, dass ich mich nicht weiter mit dem Thema befasste.

Seitdem ist viel Zeit ins Land gegangen, und das Thema divers ist mir immer mal wieder begegnet. Inzwischen ist mir bewusst geworden, dass ich damals einen Fehler gemacht habe. Ich war davon überzeugt, dass meine Assoziation „diverser Kram“ richtig ist und mir deshalb nicht die Zeit genommen zu recherchieren. So kam ich auch nicht auf die Idee, dass sich das Wort divers etwas mit dem Begriff Diversität zu tun haben könnte, ein Begriff, der in meinem Kopf sehr positiv besetzt ist.

Vor Kurzem stolperte ich in einem Gespräch über die Frage was denn dieses „divers“ nun sei und kannte die Antwort auf die Frage nicht. Mein ganzes Wissen über das Thema divers belief sich auf folgende Punkte:

  • In Stellenanzeigen taucht nun auch ein d auf.
  • Es gibt eine emotional aufgeladene Diskussion auf Twitter, wie öffentliche WC gestaltet werden müssen, damit sie auch für das dritte Geschlecht passen.
Oh, warte, dass wusste ich alles noch gar nicht.

Dass mein Wissen in diesem Bereich so gering war ließ mich nicht los, und so machte ich mich auf die Suche nach einem Buch, das mir helfen konnte, meine Wissenslücken zu füllen und stolperte über

Sigi Lieb: Alle(s) Gender. Wie kommt das Geschlecht in den Kopf.

Was bedeutet divers?

Das Buch verfügt am Ende über ein Glossar, das zu meiner großen Freude den Begriff divers definiert:

„Divers ist die Bezeichnung im deutschen Personenstandsrecht für ein Geschlecht, das weder männlich noch weiblich ist.“

S. 305.

Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, was das Personenstandsrecht ist und bin sehr gespannt, ob uns das Internet hierzu mehr verraten kann.

Was ist das Personenstandsrecht?

Spannenderweise haben ich auf der Webseite des Ministeriums des Inneren und für Heimat eine Antwort auf meine Frage gefunden. Das Personenstandsrecht regelt, wie ein Mensch rechtlich steht, oder in den Worten des Ministeriums ausgedrückt:

„Der „Personenstand“ ist die familienrechtliche Stellung eines Menschen innerhalb der Rechtsordnung. Er umfasst Daten über Geburt, Eheschließung, Begründung einer Lebenspartnerschaft und Tod sowie alle damit in Verbindung stehenden familien- und namensrechtlichen Tatsachen.“

Sind Ehen nicht ein Relikt der Vergangenheit?

Als ich diese Definition das erste Mal las empfand ich sie als übergriffig. Dann wurde mir bewusst, dass dieses Empfinden an meinem gespaltenen Verhältnis zum Thema Ehe und Eheschließung liegt. Die Ehe sind meiner Meinung nach ein Relikt aus der Vergangenheit. Es gehört dringend überdacht, bzw. ersetzt. Doch das ist ein anderes Thema.

Das Personenstandsrecht umfasst die Daten eines Menschen. Diese helfen dem Staat, den Staatsbürgern die Rechte zu gewähren und die Pflichten zu fordern, die gesetzlich geregelt sind. Für Kinder erhalten Familien bzw. diejenigen, in deren Obhut sich das Kind befindet, Kindergeld unabhängig vom Einkommen. Das Kindergeld wird grundsätzlich bis 18 Jahre und unter Umständen bis 21 oder sogar bis 25 Jahre gezahlt. Danach erlischt diese staatliche Pflicht.

Das Thema Personenstandsrecht wird detailliert im

  1. Personenstandsgesetz
    und in der
  2. Verordnung zur Ausführung des Personenstandsgesetzes

geregelt. Meine Motivation, beide Texte zum Thema Personenstandsrecht im Detail zu lesen, hält sich in Grenzen, da dort viele Themen behandelt werden, die für die Antwort auf unsere heutige Frage irrelevant sind. Was mich brennend interessiert ist die folgende Frage:

Warum ist das Geschlecht Teil des Personenstandes?

Lange Zeit war die Information, ob ein Mensch weiblich oder männlich ist, für den Staat eine wichtige Information, da die Geschlechter unterschiedliche Rechte hatten. So gab es Zeiten, in denen Männer den Führerschein machen konnten, Frauen hierfür aber die Erlaubnis des Ehemannes brauchten. Die Information, ob der Staat es mit einem verheirateten Mann oder einer verheirateten Frau zu tun hatte, war also entsprechend wichtig.

Wehrpflicht war nur für Männer.

Zum Glück sind diese Zeiten schon lange vorbei. Aus diesem Grund stelle ich mir die Frage, wozu das Geschlecht noch heute im Personenstandsregister festgehalten wird. Spätestens mit Abschaffung der Wehrpflicht, die nur Männer betraf, fallen mir keine guten Gründe dafür ein.

Korrektur 11.05.2023: Unsere Autorin verriet mir auf LinkedIn, das ich in Sachen Wehrpflicht nicht korrekt informiert bin. Sieschrieb „Die Wehrpflicht wurde nicht abgeschafft, nur ausgesetzt. (Die §§ 3 bis 53 gelten im Spannungs- oder Verteidigungsfall.) „

Daher werfen wir nun einen Blick in das Personenstandsgesetz, das das Thema Geschlecht im „§ 45b Erklärung zur Geschlechtsangabe und Vornamensführung bei Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ regelt. Ich habe mir den Paragrafen durchgelesen und zitiere hier nur die Punkte, die uns in Bezug auf unsere heutige Frage weiterbringen:

„Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung können gegenüber dem Standesamt erklären, dass die Angabe zu ihrem Geschlecht in einem deutschen Personenstandseintrag durch eine andere in § 22 Absatz 3 vorgesehene Bezeichnung ersetzt oder gestrichen werden soll. […] Mit der Erklärung können auch neue Vornamen bestimmt werden. […] (3) Durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung ist nachzuweisen, dass eine Variante der Geschlechtsentwicklung vorliegt. Dies gilt nicht für Personen, die über keine ärztliche Bescheinigung einer erfolgten medizinischen Behandlung verfügen und bei denen das Vorliegen der Variante der Geschlechtsentwicklung wegen der Behandlung nicht mehr oder nur durch eine unzumutbare Untersuchung nachgewiesen werden kann, sofern sie dies an Eides statt versichern.“

In meinen Augen besagt das Zitat folgendes:

  1. Wenn Du weder weiblich noch männlich bist, kannst Du die Angabe „männlich“ oder „weiblich“, die Dir bei Erstellung der Geburtsurkunde zugeordnet wurde, aus Deinem Datenbestand des Personenregisters streichen lassen.
  2. Mit der Änderung kannst Du einen neuen Vornamen bestimmen.
  3. Du kannst Dein Geschlecht nicht nach Lust und Laune im Personenstandgesetz ändern, Du brauchst dafür eine ärztliche Bescheinigung, oder Du musst eine eidesstattliche Versicherung abgeben.

Das Recht, das ursprünglich festgelegte Geschlecht und zudem den ursprünglichen Vornamen zu ändern, sind nun endlich zwei vernünftige Gründe für mich, warum das Geschlecht noch immer ein Teil des Personenstandes ist. Menschen, deren Geschlecht weder weiblich noch männlich ist, haben die Möglichkeit, z. B. auch einen Vornamen zu wählen, der geschlechtsneutral ist.

Beispiele geschlechtsneutraler Vornamen

Die Möglichkeit, mit der Geschlechtsänderung im Personenstandsregister einen neuen Vornamen wählen zu können, stellt mich vor die Frage, welche Vornamen in die Rubrik geschlechtsneutral fallen. Für meine Blogbeiträge nutze ich gern einen Namensgenerator, z. B. „windelprinz.de„, um in meinen Texten typische Männerberufe mit Frauennamen zu belegen und andersherum. Heute ist mir zum ersten Mal aufgefallen, dass dieser Generator keine Auswahl für geschlechtsneutrale Vornamen hat. Zum Glück ist die Webseite Baby Vornamen hier schon weiter und enthält eine Liste von Geschlechtsneutralen Vornamen von A wie Adel bis Z wie Zuma. Ich habe die Liste durchgeblättert und habe gelernt, dass auch mein Vorname Maria in die Rubrik geschlechtsneutrale Vornamen fällt.

Von welchem Begriff leitet sich der Begriff divers denn nun ab?

Mach doch bitte Dein Kreuzchen bei männlich, weiblich oder divers.

Die letzte Frage, die mir zu unserem heutigen Thema unter den Nägeln brennt, lautet, woher stammt die Bezeichnung divers. Hierzu enthält der § 22 Fehlende Angaben des Personenstandsgesetzes folgende Information:

„(3) Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so kann der Personenstandsfall auch ohne eine solche Angabe oder mit der Angabe „divers“ in das Geburtenregister eingetragen werden.“

Wenn ich diesen Absatz des Paragrafen lese, habe ich das Gefühl, dass ich mit all meinen Gedanken über den Ursprung der Bezeichnung völlig auf dem Holzweg war. Es scheint mir so, als ob der Ursprung dieses Begriffes, mein geliebtes Formular-Beamtedeutsch ist, dass stets bemüht ist, individuelle Menschen in standardisierte Formulare zu pressen.

Fazit

Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber dank unserer heutigen Recherche kann ich mit dem Begriff divers nun endlich Frieden schließen. Ich habe heute viel gelernt und ein besseres Verständnis für das Thema gewonnen. Allerdings habe ich auch gelernt, dass ich in diesem Bereich noch gigantische Wissenslücken habe, die ich schließen möchte. Zum Beispiel möchte ich die Formulierung „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ für mich irgendwann noch mit Leben füllen.

Für mich stellt dieser Beitrag den ersten Schritt dar, mich mit dem Thema divers auseinanderzusetzen. Ich habe noch keine so rechte Vorstellung davon, wohin die Reise führt, dennoch freue ich mich sehr darauf, sie zu machen. Am Ende dieser Reise bin ich hoffentlich in der Lage, mich für das Thema stark zu machen, weil ich es endlich begreife und nicht ratlos vor Fragen stehe, die ich einfach nicht beantworten kann.

11. Mai 2023
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  1. Maria Steinberg 16. August 2023 at 05:17 - Reply

    Sigi Lieb geht das Thema Gender in Ihrem Buch aus heutiger Sicht an.
    Zu meiner großen Überraschung habe ich gerade beim Lesen des Buches
    „Platon: Sokrates im Gespräch. Vier Dialoge“
    festgestellt, dass die Idee eines dritten Geschlechts schon viel länger existiert, als ich dachte. Das letzte der Gespräche in Platons Buch findet bei einem Gastmahl statt. Bei diesem kommen die Anwesenden auf die Idee den Gott Eros zu preisen und so halten einige der Anwesenden Reden über den Gott.
    In der Rede von Aristophanes taucht das Thema drittes Geschlecht auf, das es vor langer Zeit laut den Sagen gegeben haben soll:
    „Denn zuerst gab es drei der menschlichen Geschlechter, nicht nur zwei wie jetzt männlich und weiblich; es gab ein drittes dazu, das zu beiden gehörte.“ S. 153.
    Dieses dritte Geschlecht wurde als Mannweib bezeichnet. Es hatte
    – vier Arme,
    – vier Beine,
    – zwei Gesichter (eines Blickte nach vorn, das andere nach hinten),
    – vier Ohren,
    – zwei Geschlechtsteile.
    Der Redner nennt auch eine Begründung für die Existenz des dritten Geschlechts:
    „Daß ist damals drei Geschlechter gab, und dass sie so aussahen, hatte folgenden Grund: das Männliche stammte ursprünglich von der Sonne, das Weibliche von der Erde, das Doppelgeschlecht vom Mond, da auch der Mond an beiden teilhat.“ S. 154.
    Das das dritte Geschlecht zu Zeiten Aristophanes nicht mehr existiert begründet der Redner mit dem Verhalten des Geschlechts. Seine Vertreter auf Erden waren übermütig und stürmten gegen die Götter. Die Götter konnten dieses Verhalten nicht hinnehmen. Zeus wollte das Geschlecht nicht vernichten, wollte es aber auch nicht ungestraft davon kommen lassen. Also entschied er sich es zu bestrafen und teilte die Mannweiber entzwei. Aus jedem wurde so eine Frau und ein Mann. Gleichzeitig drohte er den Menschen. Würden sie sich erneut gegen die Götter richten, würde er sie erneut teilen, so dass die Menschen von da ab nur noch ein Bein, bei Ohr usw. und so fort hätten.

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