Weißt Du, was atzen bedeutet?

Mich will wer atzen?
Zu meiner Schulzeit gab es einen Schüler, der von den anderen Schülern „Atze“ genannt wurde. Ich habe mir über diesen Namen nie Gedanken gemacht und dachte, es sei nur ein frei erfundener Spitzname, der keine Bedeutung hätte. Doch dann bin ich bei
Jurij Brèzan: Reise nach Krakau,
über folgenden Satz gestolpert:
„Sie werden ein Nest bauen, irgendwo in einer unzugänglichen Wand, der Adler wird sich auf dem Rücken des Adlerweibchens festkrallen, sie wird ein Ei legen, sie werden brüten und das Junge atzen.“
S. 127.
Jetzt frage ich mich einerseits, was „atzen“ bedeutet, und ich überlege anderseits, ob der Begriff irgendetwas mit dem Spitznamen „Atze“ zu tun hat. Ich bin sehr gespannt, ob unser Lexikon beide Fragen beantworten wird.
Was das Lexikon sagt
Zu meiner großen Überraschung beantwortet unser Lexikon nicht nur beide Fragen, sondern hält für beide Begriffe passende Beiträge bereit:
atzen <sw. V.; hat> [mhd. etzen, ahd. az(z)en, Nebenf. von ↑ätzen] (Jägerspr.): Jungvögel mit Futter, Nahrung versorgen, füttern: die Jungen a. Ü jmdn. a. (scherzh.; ihm zu essen geben).
Das Zeit Lexikon. Mit dem Besten aus der Zeit, Band 17, S. 195.
Atze [wohl zu↑atzen [Ü]] (berlin.): 1. die; -, -n, selten: der; -n, -n: a) Bruder; b) Freund. 2 die; -, -n: a) Schwester; b) Freundin. 3. <o. Art.> vertrauliche Anrede.
Das Zeit Lexikon. Mit dem Besten aus der Zeit, Band 17, S. 195.

Zeit für Abendessen.
Als ich den Satz unseres Autors las, dachte ich, dass „atzen“ ein anderer Ausdruck für „großziehen“ sein könnte. Doch laut unseres Lexikons lag ich damit falsch, denn beim „Atzen“ geht es nur um das Füttern eines kleinen Vogels.
Nun frage ich mich, ob die Berliner, die „Atze“ als Spitznamen bzw. als Anrede für Bruder, Schwester, Freund oder Freundin nutzen, dabei im Kopf haben, dass „atzen“ in der Jägersprache das Füttern eines Jungvogel beschreibt.
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass hinter dem Berliner „Atze“ noch etwas anderes stecken könnte. Mal schauen, ob das Internet hier mehr weiß.
Was das Internet zu Atze sagt
Mit unserem Gefühl, dass hinter dem Begriff Atze mehr stecken könnte, lagen wir goldrichtig, und ich habe folgende Dinge gelernt, die ich bis heute nicht wusste:
- Laut Wikipedia ist Atze eine Kurzform für alle Namen, die mit A beginnen. Eine Internetseite zum Thema Babynamen schreibt, dass Atze im Berlinerischen für Arthur steht und die Kurzform von Andreas ist. Zudem steht hier auch, dass es inzwischen Eltern gibt, die ihr Kind Atze nennen.
- Auf der Webseite der Stadt Berlin steht, dass die Zehlendorfer „Atze“ als Wort für Bruder benutzen, während die Weddinger „Keule“ als Bezeichnung für Bruder bevorzugen.
- In der DDR gab es, das habe ich bei DDR-Museum erfahren, sogar einen Comic namens „Atze“.
- In Berlin gibt es ein Jugendtheater Namens Atze.
Fazit

Ick bin der Atze.
Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber ich bin jetzt etwas überrascht. Ich bin Berlinerin und lebe den größten Teil meines Lebens in dieser Stadt und ahnte bis heute nicht, dass „Atze“ mehr als nur der Spitzname eines einzelnen Mitschülers ist. Und dass das „Atzen“ in der Jägersprache nichts mit dem Berliner „Atze“ zu tun hat,
Zurück zum eigentlichen Thema des heutigen Beitrages. Wir haben heute gelernt, dass Vögel ihre Jungen „atzen“, wenn sie sie füttern. Zu meiner großen Freude habe ich in unserem Lexikon eine Eselsbrücke gefunden, die mir hoffentlich helfen wird, mich in Zukunft an die Bedeutung von „atzen“ zu erinnern. Unser Lexikon verrät uns in einem anderen Beitrag zum Begriff ätzen, dass dieses Wort sich vom althochdeutschen Wort für füttern, nämlich „ezzen“ ableitet. Eine Säure futtert sich also durch Dinge, wenn die Säure ätzt, wohingegen ein Vogel atzt, wenn er sein Junges füttert.
Ich bin sehr gespannt, was wir mit dem heutigen Wissen alles anstellen werden. Wer weiß, vielleicht ist dieser Beitrag ja der Beginn für einen neuen Namenstrend in Berlin.
UPDATE 07.05.2022: Dank Twitter habe ich gestern gelernt, dass es sogar eine Band aus Berlin gibt, die Die Atzen heißen.
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Das Buch, das diesen Beitrag inspiriert hat, habe ich als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Das bedeutet, ich habe das Buch kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen, um darüber zu schreiben.
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