Weißt Du was die Widerspruchslösung ist?

Sauber gefragt müsste es eigentlich heißen: Weißt Du was die Widerspruchs- und die Zustimmungslösung ist? Ich wusste es auch nicht und freue mich daher mein neues Wissen in Sachen Widerspruchslösung mit Dir zu teilen.

Fragen

Als Verkäuferin weiß ich wie wichtig Fragen sind. Mir ist auch bewusst, dass die Art und die Reihenfolge der Fragen die ich einem Kunden stelle einen erheblichen Einfluss darauf haben, ob der Kunde sich verstanden fühlt oder nicht. Durch die Reihenfolge der Fragen schaffe ich in einem Verkaufsgespräch einen Spannungsbogen und führe den Kunden von leicht zu beantwortenden Fragen langsam zu Fragen, die Vertrauen zwischen den Gesprächsteilnehmern erfordern. Ich habe über die Jahre mein System an Fragefolgen erschaffen und dank diesem System beantworten meine Kunden meine Fragen in der Regel sehr gern und sorgen so mit dafür, dass ich das für sie beste Produkt identifizieren kann.

Trotz dieser Erfahrung war ich sehr überrascht als ich Dank

Richard H. Thaler Cass R. Sunstein: Nudge

erfuhr wie krass Fragen und Systeme andere Bereiche unseres Lebens beeinflussen.

Wir leben in verschiedenen Systemen

Arbeit

Ich habe lange gebraucht um zu verstehen, dass jeder von uns in verschiedenen Systemen lebt, die unser Leben steuern. Zu diesen Systemen gehört der Staat, die Familie und auch die Arbeit. Diese Systeme formen unser Leben und bestimmen was wir als normal empfinden. Zu den fantastischen Dingen unserer Zeit gehört die Möglichkeit, die Systeme in denen wir leben selbst zu bestimmen. Wir können unseren Partner und damit unsere Familie wählen. Wir können entscheiden für wen wir arbeiten, ja sogar das Land in dem wir leben wollen können wir uns aussuchen.

Berlin

Durch all diese Freiheiten leben in Berlin inzwischen viele Menschen aus der ganzen Welt und das schenkt mir immer wieder die Chance mehr über andere Länder und deren Systeme zu erfahren. Und das, ohne das ich dafür die Stadt verlassen muss. So habe ich zum Beispiel gelernt, dass die Frauen in Südkorea einem unglaublichen Schönheitsideal nachstreben und mit Cremes und co. viel dafür tun diesem zu entsprechen. In diesem Moment dachte ich nur: Wow, wenn ich so viel Zeit mit meinem Aussehen verbringen würde, hätte ich ja gar keine Zeit mehr für irgendetwas anderes. Wie froh bin ich, dass ich in einer Stadt lebe, in der ich entspannt ungeschminkt auf die Straße treten kann und alle anderen das als etwas Normales empfinden und mich nicht entsetzt anstarren.

Systeme sind nicht in Stein gemeißelt

Systeme gestalten

In diesen Momenten in denen ich etwas Neues über ein anderes Land erfahre, erfahre ich also auch immer wieder etwas Neues über mein eigenes Land. Plötzlich ist etwas, was für mich immer selbstverständlich war etwas Besonderes. Plötzlich fällt mir auf, dass das System in dem wir leben von Menschen gebaut wurde und wir dessen Regeln gestalten können, wenn uns auffällt, dass die eigenen Regeln im Vergleich zu Regeln in anderen Ländern nicht gut sind. Und daher hungere ich nach Antworten auf die Frage, wie wir ein gutes System erschaffen können und unser wunderbares Buch hat mir mit der Widerspruchslösung einen spannenden Ansatz geschenkt, den ich heute mit Dir teile.

Organspende rettet Leben

Buch offen
Frankenstein

Vor 500 Jahren hätte sich kein Mensch auf dieser Welt vorstellen können, dass es einmal möglich sein würde einen Menschen mit Hilfe des Organes eines gerade Verstorbenen zu retten. Erinnern wir uns an das Buch Frankenstein, das 1818 erschien, stellen wir fest, dass Organspenden damals in den Bereich der Fantasie gehörten und wahrscheinlich durchaus vielen Menschen Angst machte. Denn Frankenstein war schließlich als Monster und nicht als Held erschaffen worden.

Heute dagegen ist Organspende etwas normales, dass jeden Tag auf der Welt viele Male praktiziert wird. Dank Organspenden sind heute viele Menschen auf der Welt, die ohne die Organspende nicht mehr unter uns wären. Die Tatsache, dass ein Mensch nach seinem Tod bereit ist seine Organe zu spenden rettet jeden Tag leben. Und obwohl Leben retten im Grunde genommen etwas Gutes ist, haben viele Menschen bei der Vorstellung ihre Organe zu spenden ein ungutes Gefühl. So kommt es, dass jeden Tag Menschen sterben, weil andere, die schon Tod sind einer Organspende nicht zugestimmt haben.

Blutspende-Pflaster

Ich persönlich bin gern bereit meine Organe zu spenden. Ich mag die Vorstellung, mit meinen Organen anderen Menschen helfen zu können. Immerhin spende ich kein Blut. Doch mir fällt es schwer Blut zu sehen und in dem Moment in dem ich meine Organe spende, muss ich wenigstens nicht zuschauen wie das Material meinen Körper verlässt. Doch die Menschen in meinem Land stehen der Organspende offensichtlich skeptischer gegenüber als ich und so ist die Zahl der Organspender in den letzten 20 Jahren immer weiter gesunken. Trotz dieser Entwicklung finde ich es gut, dass jeder die Wahl hat selbst darüber zu entscheiden, was mit seinen Organen passieren soll.

Die Widerspruchslösung

Die Forscher Daniel Goldstein und Eric Johnsen wollten herausfinden wie man mehr Organspender gewinnen und somit Leben retten kann. Um eine Antwort auf Ihre Frage zu finden starteten Sie ein Experiment in Form einer Online-Umfrage. Jeder Teilnehmer des Experimentes musste sich vorstellen, dass er gerade in einen neuen Staat umgezogen sei.

  1. Der ersten Gruppe Teilnehmer wurde erklärt, dass sie in diesem Staat nicht als Organspender eingetragen sein und sie wurden gefragt, ob sie gern dabei bleiben würden, oder ob sie Organspender wären. (Zustimmungslösung)
  2. Der zweiten Gruppe erfuhr, dass sie mit ihrem Umzug in den neuen Staat automatisch zu Organspendern würden. Auch die zweite Gruppe wurde gefragt, ob sie gern dabei bleiben würde oder lieber kein Organspender sein wollte. (Widerspruchslösung)
  3. Die dritte Gruppe musste sich aktiv für oder gegen die Organspende entscheiden, es gab keine Vorauswahl seitens des Staates.

Schau Dir die Fragen noch einmal in Ruhe an. Was sagst Du, werden die Zustimmungsquoten in den Gruppen unterschiedlich sein? Oder werden sie in allen drei Gruppen nahezu identisch sein? Lass mich Dir die drei Ergebnisse verraten und ordne die Prozentzahlen den Fragen zu. Je nach Frage stimmten

  • 42%
  • 79%
  • 82%

der Organspende zu.

Ist das nicht krass? Hättest Du gedacht, dass die Art der Frage in Kombination mit dem Status Quo einen solchen Unterschied machen kann? Spannend, oder? Nun will ich Dich nicht weiter auf die Folter spannen und verrate Dir jetzt welche Prozentzahl zu welcher Frage gehört.

In der ersten Gruppe stimmten dank der Zustimmungslösung 42% der Befragten der Organspende zu. In der zweiten Gruppe waren es dank der Widerspruchslösung 82% und in der dritten Gruppe 79%.

Wie können die Ergebnisse so unterschiedlich sein?

Herdentrieb

Die stark unterschiedlichen zwischen Gruppe 1 und Gruppe 2 Ergebnisse erkläre ich mir durch den Herdentrieb und den Status Quo. (Wenn Du weitere Erklärungsansätze kennst, freue ich mich darüber, wenn Du sie mit mir teilst. ;-))

In einem Land in dem es normal ist seine Organe zu spenden fällt es den Menschen schwerer sich gegen die Masse und das Normalverhalten zu stellen und daher brechen in unserem Fall gerade einmal 18% der Teilnehmer in Gruppe 2 die Norm. Die die keine Lust haben sich aktiv mit der Frage zu beschäftige richten sich einfach nach der Herde und bleiben beim Status Quo.

In einem Land in dem es nicht normal ist zu spenden, entscheiden sich 42% für die Organspende. Das ist zwar deutlich weniger als in Gruppe 2, aber es ist dennoch ein gutes Ergebnis für die Organspende, denn es zeigt, dass fast die Hälfte der Teilnehmer das Thema als so wichtig empfinden, dass sie den Herdentrieb überwinden. Auch in dieser Gruppe richten sich jene die keine Lust haben sich aktiv mit der Frage zu beschäftige einfach nach der Herde und bleiben beim Status Quo.

In Deutschland gilt die erweiterte Zustimmungsregelung [Achtung diese Aussage stammt aus 2011], und nur 12 Prozent der Bürger haben sich als Organspender registriert. In Österreich dagegen gibt es die Widerspruchsregelung, hier sind fast alle Bürger (99 Prozent) Organspender.

Richard H. Thaler Cass R. Sunstein: Nudge, S. 246.

Besonders bemerkenswert finde ich das Ergebnis der dritten Gruppe. Ganz ohne Zwang, ganz ohne Beeinflussung eines bereits gegebenen Status Quo, waren die Zustimmungsqoute hier fast mit der zweiten Gruppe identisch. Der Weg zu mehr Organspenden ist also einfach die richtige Frage zu stellen, wir brauchen die Menschen nicht aktiv zu beeinflusse, oder zur Organspende zu zwingen.

Seit ich das gelesen habe frage ich mich wo wir dieses Wissen nutzen können um die Welt zum Guten zu wenden. Bis jetzt habe ich noch keine Idee, aber ich hoffe dass Du eine hast und freue mich darauf sie von Dir zu erfahren.

16. August 2019
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Buchcover zum Beitrag
Ein Männchen mit vier Armen wirbelt 8 Bücher durch die Luft.
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7,6 min readCategories: Bücher, Wissen

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Ein Männchen mit vier Armen wirbelt 8 Bücher durch die Luft.

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16. August 2019
Weißt Du was Upanischaden sind?
Was können wir tun um nervige Aufgaben weniger nervig zu machen?

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  1. Maria Steinberg 8. Februar 2024 at 06:07 - Reply

    Auch die Autoren von

    Isabell M. Welpe, Nicholas Folger: Talentmanagement 5.0. Wie Sie die klügsten Köpfe finden und halten

    haben sich mit dem Thema Organspende auseinandergesetzt und wissen, dass mehr Organe gespendet werden, wenn sich Regierungen für ein Widerspruchslösung entscheiden. Sie übertragen das gewonnene Wissen in den Unternehmensbereich und zeigen auf, wie Unternehmen dieses Wissen für sich nutzen können:

    „Genauso wie Regierungen mit Organspende Regularien die Defaults für die Bevölkerung eines Landes setzen können, können auch Unternehmen mit der Gestaltung des Organisationsdesigns Defaults für ihre Mitarbeiter:innen setzen. Ist Perfektion oder Ausprobieren das bessere Default? Ist es Hierarchie oder Demokratie?“ S. 98.

    In ihrem Buch stellen sie noch vier weitere Default Möglichkeiten vor und weisen darauf hin, dass es nicht das perfekte Default-Setting gibt, sondern dass jedes Unternehmen seine eigenen Defaults setzen muss.

    Ich finde diesen Ansatz sehr spannend und finde es großartig, wie die Autoren Wissen aus einem Bereich in einen völlig anderen Bereich übertragen.

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