Weißt Du, was ein Liederjan ist?

Heute geht es um einen Begriff, der mir seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr begegnet ist. Die Autorin

Elke Wiss: Geschichten, die das Denken herausfordern: Eine praktische Anleitung zum Philosophieren. Mit Illustrationen von Barbara van den Berg

erzählt in ihrem Buch die Geschichte vom Depot der vergessenen Wörter, in welchem alle Worte, die nur noch selten genutzt werden, in Regalen gelagert werden. Die Wörter in diesem Depot sind nach Kategorien sortiert und werden in Regalen gelagert. In dem Regal für Schimpfwörter befinden sich unter anderem

„Wörter wie Liederjan, Rüpel, Flegel, Beutelschneider, Tölpel oder Schlitzohr.“

S. 110.

Alle Wörter in diesem Zitat sind mir schon einmal begegnet, ihre genaue Bedeutung oder Herkunft ist mir allerdings unbekannt. Am wenigsten kann ich mit dem Liederjan anfangen, weshalb wir dessen Bedeutung heute auf den Grund gehen werden.

Was das Lexikon sagt

Der Wörterbuchteil unseres Lexikons kennt den Begriff und verrät uns seine Bedeutung.

Lie|derljan, der; -[e]s, -e [urspr. ostmd., für älter: liederlicher Jan, vgl. Dummerjan] (ugs.): liederlicher Mensch.

Das Zeit Lexikon. Mit dem Besten aus der Zeit, Band 18, S. 1470.

Der Liederjan ist also ein liederlicher Mensch. Da ich keine Ahnung habe, was genau ein liederlicher Mensch ist, schlagen wir auch diesen Begriff in unserem Lexikon nach.

lie|der|lich <Adj.> [mhd. liederlich = (leicht)fertig, oberflächlich, eigtl. = schlaff, schwach]: 1. a) nicht fähig, Ordnung zu machen od. zu halten: ein -er Mensch; b) keine Ordnung, Sorgfalt aufweisend; nachlässig; unordentlich: eine -e Arbeit, Frisur; einen -en Eindruck machen. 2. (abwertend) moralisch verwerflich; ausschweifend: ein -es Weibsstück; einen -en Lebenswandel führen.

Das Zeit Lexikon. Mit dem Besten aus der Zeit, Band 18, S. 1470.

Ein liederlicher Mensch bzw. Liederjan ist also ein Mensch, der keine Ordnung halten kann, der unordentlich arbeitet oder einen moralisch verwerflichen Lebenswandel führt.

Nachdem ich die Bedeutung unseres Begriffe nun kenne, wundert es mich nicht, dass er aus unserem Sprachgebrauch verschwunden ist. Das, worauf mit dem Schimpfwort Liederjan geschimpft wird, ist heute nicht mehr unbedingt des Schimpfens wert. 

Die eigene Fähigkeit, Ordnung halten zu können, ist dank technischen Innovationen wie Saugroboter und Co. heute nicht mehr so wichtig wie vor hunderten von Jahren.

Ordentliche Arbeit ist auch heute noch in vielen Bereichen wichtig. Doch inzwischen haben wir erkannt, dass auch unordentliche Arbeit ihren Wert haben kann. Nehmen wir diesen Blog als Beispiel. Als dieser 2019 live ging waren meine Fähigkeiten zu schreiben und zu zeichnen nicht annährend auf dem heutigen Niveau. Hätte ich damals aber nicht begonnen, hätten sich meine Fähigkeiten auch nicht weiterentwickelt. Lernreisen wie meine sind nicht von Anfang an durchstrukturiert und perfekt. Die Struktur entsteht mit der Zeit und dank der Praxiserfahrung, die gesammelt wird, reduzieren sich auch die Fehler mit der Zeit.

Kommen wir nun zu der letzten Bedeutung des Liederjans, mit der ein moralisch verwerflicher Lebenswandel getadelt wird. In Sachen Moral hat sich die Welt zum Glück in den letzten Jahrhunderten insbesondere in Bezug auf die Frauen weiterentwickelt. Als der Begriff Liederjan zum Alltagswortschatz gehörte, gehörte es sich für Frauen, verheiratet zu sein, den Haushalt zu schmeißen und gefälligst alle Wünsche des Ehemannes zu erfüllen. Wer diesem Idealbild nicht entsprach und es zum Beispiel wagte, ohne Ehemann schwanger zu werden, führte in den Augen der Gesellschaft ein moralisch verwerfliches Leben. Zum Glück gehört diese Sichtweise heute vielerorts der Vergangenheit an. Was damals als moralisch verwerflich galt ist heute dank großer Fortschritte in der Gleichberechtigung völlig normal und absolut nicht moralisch verwerflich. 

Fazit

Dank unseres Lexikons wissen wir nun, was es mit unserem heutigen begriff auf sich hat. Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber ich freue mich sehr, dass dieser Begriff inzwischen in der Mottenkiste liegt. Denn in meinen Augen zeigt dies, wie groß die technischen und gesellschaftlichen Schritte sind, die wir in den letzten Jahrhunderten gemacht haben.