Weißt Du, was ein Oratorium ist?

HINWEIS: In diesem Text geht es um Hass und Gewalt.

Heute geht es um einen Begriff, dessen Bedeutung mir völlig unbekannt ist. Dank des Herausgebers

Heute geht es um mich.

Kevin Clarke (Hrsg.): Breaking Free. Die wunderbare Welt der LGBTQ-Musicals

weiß ich, dass ein Oratorium etwas mit Musik zu tun hat. Kevin schreibt:

„In der vom WDR im Fernsehen übertragenen deutschen Erstaufführungen aus dem Kölner Funkhaus am Wallrafplatz bezeichnet Moderator Hermanns das Werk gleich zu Beginn als „Musical“. Was es nicht ist. Als Musical-Experte, der selbst deutsche Musicals wie Kein Pardon (zusammen mit Hape Kerkeling) herausgebracht hat, mag Thomas Hermanns sich gedacht haben, dass eine solche Etikettierung den TV-Zuschauern die „Angst“ vor einem Oratorium nehmen und das Werk unmittelbar „zugänglicher“ für ein Pride-Publikum machen könnte.“

S. 311.

Das Oratorium, von dem Kevin in seinem Buch spricht, ist in der WDR-Version in diesem YouTube Video zu sehen. Ich habe es geschafft, mir die ersten 8 Minuten und 30 Sekunden des Videos anzuschauen und habe dann abgebrochen, weil mir die Tränen die Wangen herunterliefen. Das Thema des als Musical angekündigten Oratoriums namens „Considering Matthew Shepard“ zerreißt mir einfach das Herz. Dieses Werk setzt eine wahre Geschichte künstlerisch um, in der ein 22-jähriger Student auf grausamste Weise ums Leben kommt, weil er schwul ist. Die beiden Mörder plädierten vor Gericht auf eine „gay panic defence“. Das Urteil für die beide Angeklagten lautete  lebenslängliche Haft, die bis heute andauert.

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Obwohl ich mir einen kleinen Teil des Oratoriums angeschaut habe, weiß ich nicht, wie genau sich ein Oratorium von einem Musical unterscheidet. Möglicherweise ist es der Chor und das Orchester, die (zumindest in den ersten 8 Minuten) den größten Teil der Darbietung stemmen. Ob diese Vermutung stimmt, wird uns mit etwas Glück unser Lexikon verraten.

Was das Lexikon sagt

Ach, ist das göttlich.

Unser Lexikon verrät uns, dass ein Oratorium etwas mit Musik zu tun haben kann, aber nichts mit Musik zu tun haben muss. Der Begriff hat gleich vier Bedeutungen, die alle etwas mit Religion zu tun haben, oder zu tun haben können. Da unser Lexikon viel zu diesem Thema zu sagen hat, zitiere ich im Folgenden nur Auszüge des Lexikon-Eintrages.

Oratorium [kirchenlat. »Bethaus«] das, 1) Baukunst: im MA. Ein kleiner gesonderter Gebetsraum […] 2) kath. Kirchenrecht: einer kirchl. Gemeinschaft oder einem bestimmten Kreis von Gläubigen vorbehaltener Ort zur Feier des Gottesdienstes […] 3) kath. Ordenswesen: Kurzbez. Für versch. religiöse Gemeinschaften, deren Mitgl. (Oratorianer) keine Ordensgelübte ablegen. […] 4) Musik: mehrteilige Komposition auf einen geistl. (meist bibl.), seltener weltl. Text für Solostimmen; Chor und Orchester meist nicht für szen. Aufführungen bestimmt. […] Das Zeit Lexikon.

Mit dem Besten aus der Zeit, Band 10, S. 597.

Ein Oratorium kann laut unserem Lexikon also

Wir beten Dich an heilige Krähe.
  • ein Gebetsraum sein,
  • eine religiöse Gemeinschaft oder
  • Musik mit Solostimmen, Chor und Orchester.

Das Oratorium über Matthew gehört also in die letzte Bedeutung unseres Lexikons. Die Aufführung des WDR erfüllt alle Anforderungen eines Oratoriums. Es gibt

  • Solostimmen, die Matthews Geschichte singen, 
  • einen Chor,
  • ein Orchester, das beide begleitet (es ist in Minute 59 einmal zu sehen),
  • und die 31 Songs des Stückes haben immer das gleiche Bühnenbild.

Was ich noch nicht verstehe, ist, warum das Werk kein Musical ist. Diese Frage beantwortet Kevin ein paar Sätze später in seinem Text:

„Selbst wenn man Considering Matthew Shepard nicht als Musical sehen will, sondern als Stück mit Musicalelementen, sind damit Themen wie homophobe Hasskriminalität und Tötung von Homosexuellen in Deutschland im Musicaluniversum – dank Thomas Hermanns‘ Insistenz – angekommen.“

S. 311

Fazit

Dank unserer heutigen Recherche weiß ich nun, was ein Oratorium ist. Ich bin gespannt, ob ich irgendwann die Kraft habe, mir das komplette Oratorium anzuschauen, das der WDR 2022 aufgeführt hat. So sehr ich darauf achte, Gewalt aus meinem Medienkonsum herauszuhalten, so froh bin ich, dass dieses Thema eine Bühne gefunden hat. Ich hoffe, es trägt dazu bei, dass Verbrechen dieser Art irgendwann der Geschichte angehören.

14. April 2025
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Das Buch, das diesen Beitrag inspiriert hat, habe ich als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Das bedeutet, ich habe das Buch kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen, um darüber zu schreiben.

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