Weißt Du, was ein Waldschrat ist?

Heute geht es um einen Begriff, der mir schon das ein oder andere Mal begegnet ist. Als Stadtkind, das wirklich wenig mit Natur am Hut hat, dachte ich mir bis jetzt:

Ein Waldschart ist irgendwas Eigenartiges in einem Wald. Das interessiert mich nicht, ich bin ja in der Stadt.

Wie ich von dem Autor

Rother Baron: Gespräche mit Paula

erfahre, liege ich mit meinen ignoranten Gedanken zu unserem heutigen Begriff völlig falsch. Er schreibt:

„Denn Rilke, dieser Dichterfürst und Freund der Adligen, der sich von seinen hochwohlgeborenen Freunden auf deren Schlössern verhätscheln ließ, war doch der Letzte gewesen, der als Waldschrat den Annehmlichkeiten dieser Welt entsagt hätte.“

S. 107.

Obwohl ich mich nicht daran erinnere, je etwas von ihm gelesen zu haben, wissen meine grauen Zellen, dass der vollständige Name des Dichters, den unser Autor in seinem Roman erwähnt, Rainer Maria Rilke lautet. Dies ist dann aber auch schon alles, was ich über den Dichter weiß. Daher kann ich mir keinen Reim darauf machen, was den Dichter mit einem Waldschrat verbinden könnte. Lass uns daher nun zum Lexikon greifen und schauen, ob dieses uns verraten kann, was es mit unserem heutigen Begriff auf sich hat.

Was das Lexikon sagt

Unser Lexikon kennt den Begriff und verrät uns, dass ein Waldschrat das Gleiche ist, wie ein Schrat:

Hallo, ich bin ein Schart.

Wald|schrat, Wald|schratt, der: Schrat.

Das Zeit Lexikon. Mit dem Besten aus der Zeit, Band 19, S. 2599.

Da ich auch keine Ahnung habe, was ein Schrat ist, habe ich auch diesen Begriff nachgeschlagen.

Schrat, der; – [e]s, -e (landsch., bes. südd.:) Schrätel, der; -s, – [mhd. schrat(t)e, ahd, scrato, H. u.]: (im alten Volksglauben) koboldhaftes Wesen; zottiger Waldgeist.

Das Zeit Lexikon. Mit dem Besten aus der Zeit, Band 19, S. 2047.

Ich vermute mal, dass der Unterschied zwischen einem Schrat und einem Waldschrat der Wohnort ist. Ein Schrat kann in einem Wald leben, ein Waldschrat muss in einem Wald leben. Da unser Lexikon kein Bild vom Waldschrat enthält, habe ich kurz den entsprechenden Wikipedia Beitrag angeschaut, um zu sehen, wie genau das koboldhafte Wesen aussehen könnte, das unser Lexikon erwähnt.

Was uns unser Autor sagen möchte

Wie ein Waldschrat schaut der Dichter echt nicht aus-

Keines der Bilder, die ich von Rilke im Internet gefunden habe, erweckt in mir einen koboldhaften Eindruck. Der Dichter schaut in meiner Wahrnehmung ordentlich aus und trägt sogar eine Krawatte. Rilke war also kein Waldschrat. Der Grund, warum Rilke und der Waldschrat in ein und demselben Satz auftauchen, ist ein anderer. Der Waldschrat in dem Satz unseres Autors ist Timmy, ein alter Schulfreund von Rother. In der oben zitierten Passage seines Buches erzählt Rother davon, wie er seinen alten Freund nach vielen Jahren durch Zufall wiedertrifft.

Zu Beginn des Wiedersehens sitzt Timmy auf der Straße und hat einen Hut auf dem Schoß, in den Passanten Geld werfen. Rother tut dies ebenfalls und erkennt danach, dass er den Obdachlosen kennt. Sie kommen ins Gespräch. Timmy verrät Rother, warum er auf der Straße sitzt. Er ist nicht obdachlos, er glaubt nur nicht an den Konsum und hat sein Haus Obdachlosen zum Wohnen zur Verfügung gestellt. Er selbst lebt solange es die Witterungsverhältnisse zulassen in der Natur.

In der Erklärung, wie Timmy von einem normalen Arbeitnehmer zu einem Aussteiger wurde, beruft sich Timmy auf Rilke, den Rother und er vor langer Zeit einmal gelesen haben. Anhand der von Timmy erwähnten Schlagwörter „Mönch“ und „uraltem Turm“ habe ich den Text von Rilke mit Hilfe des Internets gefunden. Dieser ist ziemlich lang. Daher habe ich ihn nicht ganz gelesen, doch da, wo der Turm auftaucht, vergleicht sich Rilke offenbar mit einem Baum:

„Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.“

Der Mönch, der sich in diesem Gedicht mit einem Baum vergleicht, ist für Timmy in Sachen Verzicht ein Vorbild. Was Timmy dabei ignoriert, ist, dass der Dichter Rilke, der die Geschichte des Mönches niedergeschrieben hat, in vollen Zügen den Luxus genosss, den das Leben ihm bot. Rother bringt in seinem Zitat seine Verwunderung zum Ausdruck, dass ein Text der Luxusliebhabers Rilke seinen Kumpel Timmy zu seinem Leben im Verzicht inspiriert hat.

Fazit

Wir wissen nun, dass ein Waldschrat ein koboldhaftes Wesen ist, und ich habe verstanden, warum unser Autor den Begriff erwähnt. Was ich noch immer nicht weiß, ist, was genau eine Waldschrat so alles anstellt. Daher bin ich an dieser Stelle neugierig: Kennst Du eine Geschichte von einem Waldschrat? Wenn dem so ist, würde ich mich wahnsinnig freuen, wenn Du diese in den Kommentaren zu diesem Beitrag mit uns teilst.

29. Mai 2024
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Buchcover Rother Baron: Gespräche mit Paula
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Das Buch, das diesen Beitrag inspiriert hat, habe ich als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Das bedeutet, ich habe das Buch kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen, um darüber zu schreiben.

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29. Mai 2024
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