Weißt Du, was postulieren bedeutet?
Der Begriff postulieren begegnet mir so häufig, dass ich ihn schon lange mit ausrufen übersetze. Doch heute bin ich in

Ralf Otte: Maschinenbewusstsein. Die neue Stufe der KI – wie weit wollen wir gehen?
über einen Satz gestolpert, der mich daran zweifeln lässt, ob meine Übersetzung von postulieren stimmen kann.
Unser Autor beschäftigt sich in seinem Buch unter anderem mit der Frage, ob Roboter aus mineralischen Bauteilen Emotionen oder einen eigenen Willen haben können. Er kommt zu dem Schluss, dass dies nicht der Fall ist.
Um zu beweisen, dass mineralische Roboter keinen eigenen Willen haben, definiert unser Autor im ersten Schritt, was Wille eigentlich ist:
„Der Wille eines Menschen oder eines Tieres ist […] mit der Bewertung von Innenwahrnehmung [also den eigenen Gefühlen] verknüpft. Wille bedeutet, den (geistigen) Entschluss zu treffen, durch äußere Handlungen oder Signale die inneren Zustände in die gewünschte Form zu bringen, die man anstrebt.“
S. 183.

Im zweiten Schritt postuliert er und sorgt so dafür, dass ich den roten Faden seiner Erklärung verliere und ihm gedanklich nicht mehr folgen kann. Der Satz, der mich aus dem Verständnis-Flow gebracht hat, lautet:
„Ich werde selbst für einfachste biologische Zellen einen Elementarwillen postulieren.“
S. 183.
Lass uns nun einmal schauen, ob unser Lexikon uns verraten kann, was postulieren im Sinne unseres Autors bedeutet.
Was das Lexikon sagt
Zu meiner großen Freude hält unser Lexikon auch heute einen passenden Eintrag für uns bereit.
postulieren <sw. V.; hat> [lat. postulare, wohl zu: poscere = fordern, verlangen, verw. mit ↑ forschen]: 1. (bildungsspr.) fordern, unbedingt verlangen, für notwendig, unabdingbar erklären: die in der Verfassung postulierte Gleichberechtigung der Frau. 2. (bildungsspr.) etw. (mit dem Anspruch, es sei richtig, wahr) feststellen, behaupten; als wahr, gegeben hinstellen. 3. (Philos.) etw. zum Postulat (3) machen; etw., ohne es beweisen zu können, vorläufig als wahr, gegeben annehmen; die Unsterblichkeit der Seele p.
Das Zeit Lexikon. Mit dem Besten aus der Zeit, Band 18, S. 1787.
Dank diesem Lexikon-Eintrag weiß ich nun, dass postulieren definitiv nicht ausrufen bedeutet. Wenn unser Autor schreibt, dass er für einfachste biologische Zellen einen Elementarwillen postuliert, dann will er damit zum Ausdruck bringen, dass er dies vielleicht nicht im Detail beweisen kann, aber dennoch davon ausgeht, dass dies wahr ist.

Im Gegensatz zu primitiven Einzellern, genauer gesagt Geißeltierchen, die im Rahmen eines von unserem Autor erwähnten, aber nicht belegten Experimentes nach durchschnittlich 10 Stromstößen nicht näher an die Elektroden schwimmen, die sie Stromstöße verteilen, würde ein Stein in demselben Experiment einfach liegen bleiben. Möglicherweise empfindet auch ein Stein die Stromstöße als unangenehm, aber ihm fehlt die Möglichkeit sich diesen aktiv zu entziehen. Das ist laut der Willens-Definition unseres Autors der Beweis, dass ein Stein keinen eigenen Willen hat, ein Einzeller aber schon.
Mineralische Roboter bestehen zwar nicht aus Steinen, aber aus anderen Materialien, die keinen eigenen Willen haben. Somit kommt unser Autor zu dem Schluss, dass mineralische Roboter keinen eigenen Willen haben können.
Wie bereits erwähnt, ist unser Autor sicher, dass mineralische Roboter keinen eigenen Willen haben können. Ganz anders schaut es seiner Ansicht nach in Sachen Künstlicher Intelligenz aus. Hier kommt er zu dem Schluss, dass diese durchaus einen eigenen Willen haben kann. Welche Bedingungen eine Künstliche Intelligenz für einen eigenen Willen braucht, erfährst Du in diesem Blog-Beitrag.
Fazit
Dank der heutigen Recherche weiß ich nun endlich was es mit dem Begriff postulieren auf sich hat. Ich weiß nicht, wie es Dir geht, doch ich werde den Begriff nicht in meinen aktiven Wortschatz aufnehmen. Wenn ich eine Behauptung aufstelle, die ich als wahr hinstelle, dann möchte ich sichergehen, dass mein Gegenüber versteht, dass ich behaupte etwas sei wahr, obwohl ich es nicht beweisen kann. Wenn ich den Begriff postulieren verwende kann ich mir nicht sicher sein, dass mein Gegenüber die Bedeutung kennt und laufe Gefahr, dass ich falsch verstanden werde.
An dieser Stelle bin ich neugierig: Gibt es Dinge, die Du voller Überzeugung postulieren würdest?
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Das Buch, das diesen Beitrag inspiriert hat, habe ich als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Das bedeutet, ich habe das Buch kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen, um darüber zu schreiben.
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