Brauchen wir Erwerbsarbeit?

Heute geht es um ein Thema, das mich schon lange beschäftigt. Das Thema Erwerbsarbeit. Wir leben in einer Gesellschaft, in der viele Menschen arbeiten gehen müssen, um ihr Leben zu finanzieren. Der Job, den wir tagtäglich machen bringt das Geld, mit dem wir unsere Miete bezahlen, uns Essen kaufen und unsere Telefonrechnung begleichen.

Muss ich das hier machen?

(Über-)leben funktioniert auch ohne Arbeit

Ja, in einem Sozialstaat wie Deutschland ist es möglich, auch ohne Job zu leben. Das Geld, was arbeitslose Menschen erhalten, reicht für die drei genannten Sachen. Meiner eigenen Erfahrung nach ist Arbeitslosigkeit nichts Angenehmes. Als ich das letzte Mal arbeitslos war, reichte das Arbeitslosengeld nicht, um meine laufenden Kosten zu decken, weil ich in dem Job nur knapp mehr verdient hatte, als ich zum Leben brauchte. Das Arbeitslosengeld lag meiner Erinnerung nach 30 % unter meinem letzten Gehalt und reichte damit nicht aus.

Dieser Umstand bedeutete für mich den puren Stress. Was ich auch tat, ich brauchte binnen der nächsten 12 Monate einen neuen Job. Gleichzeitig wollte ich nicht mehr im Verkauf arbeiten. Zu meinem großen Glück ermöglichte mir das Arbeitsamt eine Weiterbildung, dank der ich vor Ablauf des Arbeitslosengeldes in einem neuen Bereich durchstarten konnte, in dem ich mit großer Freude arbeite.

Kann ein Leben ohne Erwerbsarbeit funktionieren?

Dennoch gibt es bis heute ab und an Tage (in der Regel solche, an denen ich nur wenig zu tun habe), an denen ich lieber etwas anderes machen würde, als jeden Tag zur Arbeit zu gehen. An solchen Tagen frage ich mich, ob das Leben nicht auch ohne Erwerbsarbeit funktionieren könnte.

Genau dieser Frage geht der Autor

Richard David Precht: Jäger, Hirten, Kritiker. Eine Utopie für die digitale Gesellschaft

Ich denke, ich hab keine Zeit zum Arbeiten.

nach. Er zeigt auf, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der zur Arbeit gehen nicht nur wichtig für die Finanzen ist, sondern auch für das Selbstwertgefühl des Menschen. Denn so nervig ein Job auch sein kann, er gibt einem das Gefühl, nützlich zu sein und einen Wert für die Gesellschaft zu haben. Wenn wir arbeiten gehen, zahlen wir Steuern und diese werden genutzt, um etwas für die Gesellschaft zu tun in der wir leben. Sind wir arbeitslos, bekommen wir schnell das Gefühl vermittelt, dass wir uns auf der Arbeit der Anderen ausruhen bzw. Nutznießen sind, ohne selbst einen Beitrag zum Ganzen zu leisten.

Richard verrät uns, dass die großen Philosophen wie Aristoteles und Platon keine Fans von Erwerbsarbeit waren:

„Für Männer wie Platon und Aristoteles waren nicht einmal die Vita Activa, sondern die Vita contemplativa die glücklichste Existenzform – das Leben der Philosophen. Was Menschen, als glückliches oder zufriedenstellendes Leben betrachten, ist demnach höchst abhängig von der Kultur, in der sie leben.“

S. 120.

Während die beiden Philosophen die Werke erschufen, für die sie bis heute bekannt sind, erledigten Frauen, Sklaven und Ausländer die Arbeit, die dafür sorgte, dass die Philosophen alles hatten, was sie zum Leben brauchten. Damals waren die Philosophen, die ihren Gedanken nachhingen, angesehen und jene, die die „echte“ Arbeit machten nicht. Ich bezweifle stark, dass Sklaven ein Selbstwertgefühl aus der Arbeit bezogen, die sie machen mussten.

In was für einer Kultur wollen wir leben?

Beide Systeme gehören eingemottet.

Aus meiner Sicht sind weder die Vorstellungen über die Arbeit zu Zeiten der zwei Philosophen, die auf einem sehr ungleichen System beruhte, in dem Menschen versklavt wurden und Frauen keine Rechte hatten, noch die heutige Erwerbsarbeit optimale Lösungen. Dank der technischen Entwicklung in den letzten Jahren und Jahrzehnten lässt sich heute eine Menge der monotonen Arbeit automatisieren. Weil wir in unserer Kultur aber dem Glaubenssatz nachhängen „Wer nicht arbeitet ist nichts Wert“, wird diese Automatisierung als Bedrohung gesehen. Roboter nehmen uns die Jobs und damit die Quelle unseres Selbstwertgefühls.

Ich kann gar nicht sagen, wie sehr mich dieser Gedankengang nervt. Ich möchte echt gern in einer Welt leben, in der Roboter all die Jobs erledigen, die anstrengend und monoton sind und Menschen Dinge machen können, die sie glücklich machen. Mich zum Beispiel macht es glücklich zu lesen und zu schreiben. Nach „nur“ 5 Jahren bloggen habe ich in diesem Jahr zum ersten Mal Geld mit meinen Texten verdient, die Du hier lesen kannst. Ganze 64,88 € für über 1200 veröffentliche Blogbeiträge. Das, was mich glücklich macht, reicht also noch nicht ganz, um davon meine Miete zahlen zu können. Aber ich mache einfach weiter, denn es macht mich glücklich und daher ist das Geld, das ich damit verdiene, Nebensache. Meinen Lebensunterhalt verdiene ich in meinem Hauptjob.

Aber bitte verstehe mich jetzt nicht falsch. Ich will nicht in einer Welt leben, in der ich nur schreibe. Denn das wäre unter Garantie auch nicht cool. Ich möchte in einer Welt leben, in der ich mich nach Lust und Laune austoben kann. Ich würde zum Beispiel wahnsinnig gern mal einen Monat bei einer Ernte helfen, um zu verstehen, woher mein Essen kommt. Auch beim Bau eines Hauses würde ich gern helfen. Ich für meinen Teil wünsche mir also eine Kultur, in der ich mich einfach austoben kann. Eine Kultur, in der ich Dinge machen kann, die mir helfen zu verstehen, was die Welt im Inneren zusammenhält. In einer Kultur, in der ich durchaus meinen Beitrag zur Gesellschaft leiste, aber nicht, indem ich immer das Gleiche mache. In einer Kultur, in der wir uns darüber freuen, dass Roboter uns das Leben erleichtern.

Fazit

Nein, wir brauchen keine Erwerbsarbeit, wie wir sie aktuell praktizieren. Wir können eine Kultur erschaffen, in der Selbstwert nicht von einem Erwerbsjob abhängt. Ja, eine solche Kultur entsteht nicht von jetzt auf gleich. Doch wenn wir es nicht einmal wagen, uns eine solche Kultur vorzustellen, wird es noch länger dauern, bis diese wahr wird. An dieser Stelle bin ich neugierig: In was für einer Kultur möchtest Du gern leben?

31. Januar 2025
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5 minBücher
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Buchcover zum Beitrag
Ein Männchen mit vier Armen wirbelt 8 Bücher durch die Luft.
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Das Buch, das diesen Beitrag inspiriert hat, habe ich als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Das bedeutet, ich habe das Buch kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen, um darüber zu schreiben.

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Ein Männchen mit vier Armen wirbelt 8 Bücher durch die Luft.

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31. Januar 2025
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