Ein „Danke, lieber Vertriebler“ und seine Folgen

Ein besonderer Brief.

Gestern erlebte ich einen breit grinsenden Vertriebsmitarbeiter, der vor Freude strahlend erzählte, dass ein Kunde einen zwei Seiten langen Brief verfasst hatte, um dem Chef des Mitarbeiters von dessen fantastischer Arbeit zu berichten. Was der Kunde nicht wissen konnte: Der besagte Vertriebsmitarbeiter ist noch nicht sehr lange in diesem Unternehmen, und der Brief gibt seinem Chef daher das Gefühl, mit dieser Personalentscheidung eine gute Entscheidung getroffen zu haben.

Nach über einem Jahrzehnt im Verkauf weiß ich, wie wertvoll diese Briefe sind. Nicht nur für den Chef, sondern auch für die eigene Motivation. So ein Brief schenkt einem Mitarbeiter in den nächsten Wochen unglaublich viel Energie. Wenn ein Brief so viel Wirkung hat, lautet die Frage doch:

  • Warum erhalten Unternehmen nur selten solche Lobesbriefe für Ihre Mitarbeiter?
  • Liegt es daran, dass es nur so wenige gute Vertriebsmitarbeiter gibt?

Lass uns ein kleines Experiment machen, um die Frage zu beantworten.

Das Einkaufsexperiment

Die Geschichte einer erfolglosen Beutezuges.

Stell Dir vor, Du bist auf der Suche nach einem wichtigen und nicht ganz preisgünstigen Produkt. In der festen Absicht, dies zu kaufen, betrittst Du einen Laden. Zu Deiner großen Freude entdeckst Du nach wenigen Sekunden genau das gesuchte Produkt. Da Du noch ein paar Fragen hast, lässt Du Deinen Blick auf der Suche nach einem Verkäufer durch den Laden schweifen. Zu Deiner Freude erspähst Du einen Verkäufer, der gerade frei ist und sprichst ihn an. Seine Antwort lautet, dass er für diesen Bereich nicht zuständig ist und nicht wisse, wo der zuständige Kollege sei. Geschlagene 60 Minuten später verlässt Du den Laden ohne das Produkt, das Du eigentlich kaufen wolltest, mit der schlechtesten Verkäuferkontakterfahrung, die Du je hattest und dem Eindruck, dass dieser Verkäufer einen echten wirtschaftlichen Schaden für sein Unternehmen bedeutet. Denn in den 60 Minuten hat es ein und derselbe Verkäufer geschafft, gleich 5 Kunden zu verärgern.

Die Frage lautet: Was machst Du nun?

  1. Du vergisst das Erlebte, schnappst Dir Dein Smartphone, lässt Dir Deine Fragen zum Produkt von Deiner Twitter-Community beantworten, damit Du bei positiven Antworten noch am selben Tag das Produkt in dem Laden kaufen kannst, den Du gerade verlassen hast.
  2. Du gehst in den nächsten Laden, der das Produkt hat und kaufst es dort, sofern der Verkäufer Deine Fragen beantworten kann. Wenn Freunde dich in Zukunft nach dem Produkt fragen, empfiehlst Du Laden zwei und warnst vor Laden 1.
  3. Du schreibst der Geschäftsleitung einen Brief, schilderst detailliert Dein Erlebnis mit dem Mitarbeiter und sprichst die Empfehlung aus, diesen in Zukunft nicht mehr auf die Kunden loszulassen.
  4. Du schreibst einen Brief an die Geschäftsleitung des Ladens, in dem Du Dein Produkt schlussendlich gekauft hast und bedankst Dich für die kompetente und freundliche Beratung
Vom ersten Laden war ich nicht begeistert, aber Nummer zwei war super.

Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber meine Antwort lautet 2. In meiner Wahrnehmung hat der Mitarbeiter, der mir das Produkt erfolgreich verkauft hat, seinen Job gut gemacht, und ich möchte ihn mit neuen Kunden belohnen. Die Idee, ihn mittels eines Briefes lobend bei seinem Unternehmen zu erwähnen, ziehe ich nicht einmal in Erwägung. Mein Fokus liegt darauf, meinen Bekannten ein schlechtes Kauferlebnis zu ersparen. Daher warne ich vor Laden Nummer 1. Ich richte damit möglicherweise einen Schaden an, über den ich nicht wirklich nachdenke. Er könnte aber für das Unternehmen größer sein als mein wütender Brief. Der Brief gibt dem Unternehmen die Chance, auf das Ereignis zu reagieren. Von meinen Geschichten, die ich meinen Freunden erzähle, bekommt das Unternehmen nichts mit. Dabei richten sie laut

Frank Pacetta: Du bist der Chef – Mach was draus!

einen unglaublichen Schaden für das Unternehmen an. Denn laut unserem Autor gibt es eine Formel, die besagt, dass ein verärgerter Kunde schätzungsweise 12 anderen Menschen von seiner Erfahrung erzählt.

Ein unzufriedener Vertriebler und die Folgen

Ein überspitzes Rechenbeispiel.

Was das bedeuten kann, wird uns klar, wenn wir uns bewusst machen, dass es der Verkäufer in Laden 1 binnen 60 Minuten geschafft hat, 6 Kunden zu verärgern. Erzählen diese jeweils 12 von ihren Freunden von dem Erlebnis, könnte der Laden in dieser Stunde schlimmstenfalls 66 potenzielle Kunden verloren haben. Doch der Verkäufer arbeitet nicht nur eine sondern acht Stunde am Tag. Mit etwas Pech schafft er es an einem Arbeitstag 6 x 8 = 48 Kunden zu verärgern, die jeweils 12 Freunden von dem Erlebnis erzählen und somit 48 x 12 = 576 weitere potenzielle Kunden verschrecken. Ein einziger Verkäufer mit dieser Performance könnte also ein Unternehmen 624 Kunden am Tag kosten. An dieser Stelle erspare ich es uns, den Schaden auf einen Monat oder gar auf ein Jahr hochzurechnen. Ich hoffe darauf, dass irgendwann ein potenzieller Kunde Erbarmen hat und dem Unternehmen in einem Brief mitteilt, was er in seinen Verkaufsräumen erlebt hat.

In meinen Augen ist dieses kleine Rechenbeispiel (das sich im wahren Leben zeitlich entzerrt, weil die Negativerfahrungen nicht an einem Tag geteilt werden) schon sehr krass, doch unser Autor stellt es sogar noch in den Schatten:

Stell Dir vor, 10 % Deiner Vertriebsmitarbeiter sind unzufrieden

10 % sind ein Zahlendrama.

Im Beispiel unseres Autors hat ein Unternehmen 2.000 Vertriebsmitarbeiter, von denen 10%, also 200 Mitarbeiter, unzufrieden sind. Diese 200 Mitarbeiter kontaktieren pro Tag jeweils 5 Kunden, die sie ihre Unzufriedenheit deutlich spüren lassen. Diese 200 Mitarbeiter haben also insgesamt 5 x 200 = 1000 Kundenkontakte am Tag. Das sind 5000 Kundenkontakte in der Woche. Wenn diese ihren Freunden von den unerfreulichen Kontakten mit den unzufriedenen Vertriebsmitarbeitern berichten, sind das 65.000 „verbrannte“ Kunden in einer Woche.

Was können wir tun?

Was macht Dir am meisten Freude an Deinem Job?

Als Unternehmer und Führungskräfte können wir regelmäßig mit unseren Vertrieblern sprechen und auf Anzeichen der Zufriedenheit oder Unzufriedenheit achten. Gleichzeitig macht es Sinn, über die eigenen Provisionsmodelle nachzudenken. Meiner Erfahrung nach können diese leicht für Unzufriedenheit sorgen, insbesondere in Zeiten, in denen auch der beste Vertriebsmitarbeiter den Markt kaum beeinflussen kann, weil sich die Welt in einem unerwartet lang andauernden Ausnahmezustand befindet.

Es muss nicht immer ein Brief sein.

Als Kunden könnten wir auch Option 4 mehr beachten und uns nach einem positiven Verkaufserlebnis die Zeit nehmen, es zu bewerten. Dank digitalem Zeitalter muss es nicht immer ein Brief sein. Auch eine Onlinebewertung wird den Mitarbeiter erreichen, der wohl nichts dagegen haben wird, wenn er hier lobend namentlich erwähnt wird. Mit diesem kleinen Danke für ihre Leistung haben wir als Kunden die Macht, Vertriebler vor dem Abdriften in die Unzufriedenheit zu bewahren. Unser Lob verleiht den Vertrieblern Flügel. Auch wenn im Unternehmen nicht alles optimal laufen sollte, freuen sich die Mitarbeiter dennoch auf ihre Arbeit. Denn fantastische Kunden machen die chaotische Mitarbeiterküche und Co. allemal wett.

Wer ist Dein Lieblings Vertriebler?

Wer war der bester Verkäufer letzte Woche?

Die Frage lautet nun also: Welcher Vertriebler hat in den letzten Wochen bei Dir einen guten Job gemacht? Wenn Dir keiner einfällt, kannst Du gern auch einmal an den freundlichen Menschen denken, der Dich seit vielen Jahren an der Supermarktkasse so freundlich bedient und in der Regel außer ein freundliches Hallo und Tschüss keine Briefe oder Onlinebewertungen erhält. Um Dir das Ganze zu erleichtern folgt hier eine kleine Blaupause für Dich. Du brauchst nur noch die Lücken zu füllen:

„Ich kaufe seit Jahren bei __ ein und bin höchst zufrieden. Das freundliche Lächeln von __ hat mir schon so manchen Tag erhellt. In der Regel bin ich nur kurz angebunden, weil ich keine Zeit habe und dennoch gibt mir __ jedes Mal das Gefühl, dass ich ein wertvoller Kunde in ihrem Geschäft bin. Lange Zeit habe ich sein Wirken als selbstverständlich genommen, aber nach __ Jahren habe ich mir nun ein Herz gefasst und möchte ihnen und ihrem Mitarbeiter dafür danken, dass sie da sind und unsere Grundversorgung seit Jahren sichern. Machen Sie weiter so.“

15. Oktober 2020
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Ein Männchen mit vier Armen wirbelt 8 Bücher durch die Luft.
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7 min readCategories: Bücher, Wissen

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15. Oktober 2020
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