Ist Streiten etwas Gutes?
Ich liebe Autoren, die meine Meinung in Frage stellen. Ich persönlich bin absolut kein Fan von Streit. Meine Sehnsucht nach einer Welt mit weniger Streit, Konflikten und Negativität ist so groß, dass ich ihr die Webseite gewidmet habe, auf der Du dich gerade befindest. Mit du-bist-grossartig.de möchte ich zeigen, dass die Welt besser ist, als wir sie über die Nachrichten wahrnehmen.
Nie hätte ich daher gedacht, dass ich in diesem Blog jemals darüber schreiben würde, dass Streiten etwas Gutes ist. Doch dann habe ich
Reinhard K. Sprenger: Magie des Konflikts. Warum ihn jeder braucht und wie er uns weiterbringt
gelesen. Unser Autor schreibt
„Der Konflikt als sozialer Kitt des Unternehmens – das ist noch kaum verstanden worden, dass aufrichtig und zivilisiert streiten ein Bindemittel ist. Ein Zeichen gegenseitiger Anerkennung. Man streitet sich ja nur mit demjenigen, den man als ebenbürtig und gleichwertig anerkennt (in früheren Zeiten hätte man »satisfaktionsfähig« gesagt). Der Soziologe Georg Simmel beschrieb schon 1908 den konstruktiven Streit als Chance, das Miteinander auszuhalten, ohne fliehen und den anderen beseitigen zu müssen.“
S. 28.
Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber mich macht das, was unser Autor schreibt, nachdenklich, da es vollkommen plausibel klingt und dennoch nicht mit meiner eigenen Erfahrung übereinstimmt. Ich kann mich daran erinnern, dass ich mich mit jemandem gestritten habe, ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich konstruktiv gestritten habe. Nun frage ich mich, ob mein Horizont in Sachen Streit einfach nur wahnsinnig beschränkt ist, weil ich das Thema meide. Könnte es sein, dass meine Vermeidungshaltung in diesem Bereich mir ein wertvolles Werkzeug vorenthalten hat? Oder habe ich in der Vergangenheit möglicherweise schon konstruktiv gestritten, diese Streits aber einfach nicht als Streits deklariert?
Lass uns doch einmal schauen, ob sich mit Hilfe des Internets und unseres Lexikons einige dieser Fragen beantworten lassen.
Was bedeutet satisfaktionsfähig?
Im Zitat unseres Autors taucht der Begriff satisfaktionsfähig auf, den ich bis jetzt in meinem Wortschatz lediglich als Synonym für „Die Fähigkeit zufrieden gestellt zu werden“ verwende. Diese Bedeutung passt nicht in das Zitat unseres Autors. Ich vermute daher, dass der Begriff eine andere oder mehrere Bedeutungen hat. Unser Lexikon hält keinen genau passenden Beitrag, sondern nur die folgenden Einträgefür uns bereit:
Satisfaktion [lat.] die, Genugtuung durch Ehrenerklärung (Zurücknahme der Beleidigung) oder durch Duell. Das Zeit Lexikon. Mit dem Besten aus der Zeit, Band 12, S. 581.
Sa|tis|fak|ti|on, die; -, -en <Pl. selten> [lat. satisfactio = Genugtuung, zu: satisfacere = Genüge leisten, befriedigen aus: satis = genug (verw. mit ↑satt) u. facere = tun]: a) (bildungsspr. veraltend) Genugtuung (2), bes. in Form einer Ehrenerklärung: S. fordern, verlangen, erhalten; jmdm. S. geben; b) (früher, noch Verbindungswesen) Zurücknahme einer Beleidigung o.Ä. durch die Bereitschaft zum Duell: unbedingte S.; S. fordern, nehmen, geben, erteilen. Das Zeit Lexikon. Mit dem Besten aus der Zeit, Band 19, S. 1967.
Die Webseite Duden.de schlägt die Brücke zwischen den Lexikon-Einträgen und dem Zitat unseres Autors, indem sie uns mit der Definition des Begriffes satisfaktionsfähig versorgt:
„(nach einem bestimmten Ehrenkodex) berechtigt, Satisfaktion (b) zu fordern bzw. zu leisten“
Unser Autor verwendet den Begriff an dieser Stelle offenbar, um deutlich zu machen, dass ein Duell nur zwischen Menschen der gleichen sozialen Stellung möglich war. Kam die Beleidigung von einem niedriger gestellten, wurde dieser einfach bestraft, kam sie von einem höher gestellten, musste sie hingenommen werden.
Was hat Georg Simmel 1908 geschrieben?
Mir ist der Name Georg Simmel den unser Autor in seinem Zitat erwähnt noch nie zuvor begegnet, daher habe ich mir schnell den passenden Wikipedia-Artikel geschnappt und erfahren, dass Georg ein Soziologe war, dessen Eltern jeweils vom jüdischem Glauben zum protestantischen oder katholischen Glauben konvertierten. Nach jüdischem Brauch ist Georg damit kein Jude, da seine Mutter ihn nicht in diesem Glauben erzog. Das hielt sein Umfeld allerdings nicht davon ab ihm aus antisemitischen Gründen Steine in den Weg zu legen. Trotz der Menschen, die ihm das Leben schwer machen, waren Georgs Vorlesungen sehr beliebt.
1908 verfasste Georg einen Artikel namens der Streit. Auf Wikipedia steht, dass Simmel den Begriff Streit in seinem Artikel wie folgt definiert:
„Streit“ wird von Simmel allgemein als Herstellung einer Einheit aus Differenzen verstanden.“
Damit weicht Georgs Definition von dem ab was ich unter Streit verstehe. Er fokussiert sich auf das Streitergebnis, ich habe mich bis jetzt nur auf die Streithandlung fokussiert.
Auf der Webseite Socio.ch sind viele von Georgs Schriften zu finden, leider ist der Streit nicht dabei. Solltest Du irgendwo das Original entdecken, würde ich mich freuen, wenn Du es mit mir teilst.
Konstruktiver Streit
Das beste Dokument, dass ich zu Georgs Streitverständnis finden konnte ist dieses PDF von Martin Schneider mit dem Titel Kampf, Streit und Konkurrenz. Ab Seite 29 beschäftigt es sich mit „Der Streit“ von Georg Simmel. Ich habe nur einen Bruchteil von dem verstanden, was hier steht. Der Begriff konstruktiver Streit taucht in diesem PDF jedenfalls nicht auf. Martin schreibt, dass Georg den Gerichtsstreit als Beispiel anführt. Für mich ist der Gerichtsstreit, ein konstruktiver Streit. Er nimmt einen Konflikt, den zwei Parteien allein nicht lösen können und strebt nach einer Lösung.
Fazit
Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber in meinem Kopf kreisen gerade die Gedanken, weil meine heutige Recherche alle möglichen Begriffe durch die Luft gewirbelt hat. Bis jetzt waren Begriffe wie
- Streit,
- Diskussion,
- Verhandlung und
- Konflikt
für mich klar voneinander abgegrenzt. Im Moment kann ich sie nicht mehr recht voneinander trennen. Zum Glück muss ich dies nicht tun, um unsere heutige Frage zu beantworten.
Heute geht es darum die Frage zu klären, ob Streit etwas Gutes ist. Die Antwort, die ich für mich mitnehme, lautet:
- Nein, wenn ich mich wie bisher nur auf den Akt des Streitens fokussiere, denn dieser kann kräftezehrend und verletzend sein.
- Ja, wenn ich mich wie Georg und unser heutiger Autor auf das Ergebnis des Streites, also die Lösung fokussiere.
Ein Streit hat das Potenzial die Luft zu klären. Ein Unternehmen besteht meist aus mehreren Menschen. Jeder dieser Menschen ist ein Individuum, hat seine eigenen Erfahrungen, seine eigenen Werte, seine eigenen Meinungen. Damit die Zusammenarbeit in einem Unternehmen funktioniert, braucht es einen bzw. mehrere gemeinsamen Nenner. Ein Streit in einem Unternehmen kann dafür sorgen unterschiedliche Meinungen sichtbar zu machen. Er ermöglicht allen Beteiligten des Streites die Meinungen der anderen wahr zu nehmen. Am Ende des Streites steht eine Einigung. Diese kann sein, das man einen gemeinsamen Nenner gefunden hat. Selbst wenn am Ende ein oder mehrere Streitbeteiligte das Unternehmen verlassen, ist dies eine Lösung. Der Streit ist in beiden Fällen ein Bindemittel im Sinne unseres Autors. Bei einer Einigung der Streitenden, wurde aus unterschiedlichen Meinungen eine gemeinsame. Auch beim Verlassen des Unternehmens durch einen Mitarbeiter nach einem Streit, wurde die Bindung der im Unternehmen Verbleibenden gestärkt.
Ich für meinen Teil werde noch etwas auf dem Thema herumkauen, daher bin ich an dieser Stelle neugierig, wie Deine Streitdefinition, Deine Streiterfahrungen und Dein Streitverhalten aussehen.
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