Wann wirkt das Knappheitsprinzip am Besten?
Mehl, Hefe und Toilettenpapier galten in den letzten Jahrzehnten als Produkte, die für jeden von uns selbstverständlich waren. Diese Produkte waren unscheinbar, billig und immer verfügbar. Dass sie je knapp werden könnten, lag völlig außerhalb unserer Vorstellungskraft.
Doch dann kam der März 2020, in dem ein kleiner Virus die Welt lahmlegte, und in Deutschland waren in vielen Geschäften Mehl, Hefe und Toilettenpapier ausverkauft. Viele Menschen erlebten zum ersten Mal in ihrem Leben, dass diese Produkte nicht verfügbar waren. Bis heute verstehe ich nicht, warum gerade diese drei Produkte solch eine Beliebtheit erfuhren. Doch ich verstehe, dass in diesem Moment das Knappheitsprinzip zu wirken begann. Als die Menschen sahen, dass diese Produkte nicht verfügbar waren, stieg in ihrer Wahrnehmung der Wert dieser Produkte. Plötzlich wollte so gut wie jeder diese Produkte haben.
Die Supermärkte taten das, was Supermärkte tun, wenn eine Ware fehlt: Sie bestellten die Ware nach und füllten ihre Regale auf. Die Menschen sahen die gefüllten Regale. Doch statt sich zu entspannen und zu realisieren, dass diese Produkte nicht knapp waren, griffen viele Menschen nun zu und kauften Mehl, Hefe und Toilettenpapier in rauen Mengen. Diese Menschen standen trotz gefüllter Regale weiterhin unter dem massiven Einfluss des Knappheitsprinzips und sorgten mit ihrem Kaufverhalten für leere Regale, leere Regale, die nun wiederum bei anderen Menschen das Knappheitsprinzip aktivierten.
Nachdem ich 15 Jahren im Verkauf gearbeitet habe, weiß ich, wie mächtig das Knappheitsprinzip ist. Ich wußte allerdings nicht, dass das Prinzip nicht immer gleich stark wirkt. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass dieses Prinzip bei Mehl, Hefe und Toilettenpapier greifen könnte. Doch dank
Robert B. Cialdini: Überzeugen im Handumdrehen
und eines kleinen Keks-Experiments verstehe ich nun, warum das Prinzip aktuell so stark wirkt, und dieses Verstehen möchte ich heute mit Dir teilen.
Das Keks-Experiment
Es war einmal ein Forscher namens Stephen Worchel. Dieser wollte wissen, ob das Knappheitsprinzip auch bei Keksen, genauer gesagt Schokoladenkeksen, wirkt. Also startete er ein Experiment. Er nahm einige Versuchspersonen und teilte sie in zwei Gruppen ein. Der ersten Gruppe stellte der Forscher ein Gefäß mit 10 Keksen vor die Nase und bat sie, diese zu beurteilen. Auch die zweite Gruppe erhielt den Auftrag Kekse zu beurteilen, allerdings enthielt ihr Gefäß lediglich 2 Kekse.
In diesem Experiment beurteilte die Gruppe 2 die Kekse als wohlschmeckender und teurer als die Gruppe 1. Unser Forscher hatte also bewiesen, dass das Knappheitsprinzip auch bei Schokoladenkeksen funktioniert. Je weniger Kekse es gibt, desto höher empfinden wir ihren Wert.
Das extreme Keks-Experiment
Doch als vorbildlicher Forscher gab sich Stephen mit diesem Ergebnis nicht zufrieden. Er wollte wissen, ob es Situationen gibt, in denen das Knappheitsprinzip noch stärker wirkt.
Also schnappte er sich wieder einige Versuchsteilnehmer und teilte diese in drei Gruppen ein:
- Gruppe 1 bekam ein Gefäß mit 2 Keksen.
- Gruppe 2 bekam ein Gefäß mit 10 Keksen, das kurz vor der Verkostung durch ein Gefäß mit 2 Keksen ersetzt wurde. Beim Tausch der Gefäße wurde den Versuchsteilnehmern gesagt, dass die restlichen Kekse für andere Versuchsteilnehmer gebraucht würden.
- Gruppe 3 bekam ein Gefäß mit 10 Keksen, das kurz vor der Verkostung durch ein Gefäß mit 2 Keksen ersetzt wurde. Beim Tausch der Gefäße wurde den Versuchsteilnehmern gesagt, dass ein Fehler gemacht wurde, und das falsche Glas Kekse hingestellt wurde.
Was meinst Du, welche der drei Gruppen beurteilte die Kekse am Besten? Die Antwort lautet; Gruppe 2. Jene Teilnehmer, die die Kekse für andere Teilnehmer (also aufgrund von starker sozialer Nachfrage) hergeben mussten, beurteilten die Kekse besser als die anderen beiden Gruppen.
Fazit
Wenn Produkte aufgrund starker sozialer Nachfrage knapp werden, funktioniert das Knappheitsprinzip am Besten. Es ist fast so, als verwandelten wir uns in Kleinkinder, die auf einem Spielplatz erleben, wie ein anderes Kind nach unserem Bagger greift. Noch vor einer Sekunde war uns der Bagger schnurz piep egal und wir waren mit unserer Schaufel glücklich und zufrieden. Doch in dem Moment, in dem ein anderes Kind unseren Bagger will, wird der Bagger für uns zum tollsten Spielzeug auf der ganzen Welt, das wir unter keinen Umständen teilen wollen. Zum Glück lernen Kinder, wenn sie älter werden, mit dieser Situation umzugehen und sind irgendwann in der Lage, ihren Bagger zu teilen.
Was wir aktuell erleben, ist also ein ganz normales menschliches Verhalten. Das geniale an menschlichem Verhalten ist, dass wir es ändern können, wenn wir es wollen. Sobald wir wissen, dass wir Opfer des Knappheitsprinzips sind, können wir unser Handeln aktiv in Frage stellen und ändern.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir als erwachsene Menschen so klug sein können wie kleine Kinder. Wir können uns bewusst machen, dass es aktuell genauso viel Mehl, Hefe und Toilettenpapier gibt, wie noch vor einem Jahr. Wir können uns bewusst machen, dass diese Waren nicht knapp sind, solange wir normal einkaufen. Wir können eine Packung statt 10 Packungen kaufen, wenn Mehl, Hefe und Toilettenpapier verfügbar sind. Wir können das Internet nutzen und lernen, wie wir selbst Hefe vermehren. Wir können unser Toilettenpapier sparsamer und bewusster konsumieren. Ja, wir können sogar neue Rezepte ausprobieren und unseren Bedarf nach Mehl reduzieren. Und wenn wir das tun, wird ein Wunder geschehen: Die Regale in den Supermärkten werden uns wieder wie gewohnt mit Mehl, Hefe und Toilettenpapier versorgen.
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