Weißt Du, was beckmesserisch bedeutet?

Heute geht es um einen Begriff, der mir noch nie zuvor begegnet ist. Begegnet ist er mir im Buch von

Ich hab das nur für Dich gemacht.

Martin Bleif: Das Tier in uns. Die biologischen Wurzeln der Menschlichkeit

in einem kleinen Exkurs setzt sich unser Autor intensiv mit dem Thema Altruismus auseinander. Er analysiert dabei auch die folgenden unterschiedlichen Varianten des Begriffes:

  1. Alltagsdefinition: Altruismus schadet dem altruistischen Individuum, nutzt aber einem anderen.
  2. Echter bzw. reproduktiver Altruismus schmälert den Fortpflanzungserfolg des altruistischen Individuums.
  3. Das Großziehen von Nachkommen fällt unter den Oberbegriff egoistischer Altruismus.

Diese Definitionen zeigen, dass Altruismus nicht immer uneigennützig ist und sich Freundlichkeit durchaus auszahlen kann. Im Falle des egoistischen Altruismus opfern Eltern bereitwillig Zeit, Nerven und Geld, um ihre Kinder groß zu ziehen. Gleichzeitig stellen sie damit sicher, dass ihr Erbgut sie selbst überlebt, und sie haben eine realistische Chance, dass sich ihre Kinder einmal um sie kümmern werden, wenn diese groß und ihre Eltern gebrechlich sind. Während uns die Motivation von Eltern bewusst ist, fragen wir bei der altruistischen Handlung eines Passanten, der ein Kind aus einem brennenden Haus rettet, nicht nach, ob er sich von dieser Handlung Vorteile erhofft. Unser Autor formuliert diesen Gedanken wie folgt:

„Kaum jemand fragt in einem solchen Moment beckmesserisch nach, ob eine »uneigennützige« Handlung längerfristig oder in größerem Zusammenhang betrachtet, womöglich mehr schadet als nützt.“

S. 74.

Lass uns nun doch einmal mit Hilfe unseres Lexikons schauen, ob der mir unbekannte Begriff beckmesserisch eine Bedeutung in den Satz bringt, die mir aufgrund meiner Unwissenheit verborgen ist.

Was das Lexikon sagt

Unser Lexikon kennt den Begriff und führt mir ein weiteres Mal vor Augen, dass ich ein Kulturbanause bin.

Theoretisch hab ich es voll drauf.

beck|mes|se|risch <Adj.> (abwertend): in der Art eines Beckmessers verfahrend.

Das Zeit Lexikon. Mit dem Besten aus der Zeit, Band 17, S. 296.

Beckmesser, Sixtus, Nürnberger Meistersinger, *um 1500, † vor 1539 (?); einer der von H. Sachs erwähnten 12 älteren Meister der Nürnberger Singschule.

Das Zeit Lexikon. Mit dem Besten aus der Zeit, Band 02, S. 54.

Beck|mes|ser, der; -s, – [nach der gleichnamigen Gestalt in R. Wagners Oper »Die Meistersinger von Nürnberg« mit der der Komponist einen Kritiker verspotten wollte] (abwertend): kleinlicher Nörgler; Kritiker, der sich an kleinen Mängeln stößt, anstatt das Ganze zu sehen.

Das Zeit Lexikon. Mit dem Besten aus der Zeit, Band 17, S. 296.

Was das Internet sagt

Dank unserem Lexikon kennen wir die Bedeutung unseres heutigen Begriffes. Da ich die Oper nicht kenne, verstehe ich nicht, woher die abwertende Bedeutung des Begriffes kommt. Daher habe ich mir auf YouTube diese Kurzzusammenfassung der Oper angeschaut und weiß nun, worum es in Wagners Oper geht.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Eva ist in Walther verliebt. Zu ihrem Leidwesen besteht ihr Vater aber darauf, dass Eva einen Meistersinger ehelicht und veranstaltet daher einen Wettbewerb, bei dem der Sieger Eva als Preis erhält, um sie zu heiraten. Walther ist kein Meistersinger, aber seine Liebe ist so groß, dass er sich dem Urteil der Meistersinger stellt, in der Hoffnung, dass er den Wettbewerb gewinnt und so Eva ehelichen kann. Zwei Meistersänger, neben Sixtus Beckmesser auch Hans Sachs haben ebenfalls Interesse an Eva. Beckmesser schätzt die traditionellen Werte der Musik, Sachs dagegen die innovativen. Als Walther vorsingt, scheitert er im Urteil der Meistersänger kläglich, nur Sachs entdeckt in seinem Gesang etwas Innovatives, was ihn reizt. Der den traditionellen Werten anhängende Beckmesser dagegen zerpflückt Walters Leistung und kritisiert diese bis ins letzte Detail. Als Beckmesser selbst sich dem Wettbewerb stellt, hat er kein eigenes Lied vorzuweisen, sondern bittet Sachs, ihm ein Lied zu schreiben. Mit seinem Auftreten und der Interpretation des Liedes versagt er auf der Bühne kläglich. Beckmesser beweist mit seinem Auftritt und mit seiner Kritik an Walther, dass er streng an traditionellen, teilweise schon überkommenen Regeln und Formen festhält und allen Neuerungen und Innovationen kritisch und ablehnend gegenübersteht.

Was uns unser Autor sagen möchte

Mit dem Hintergrundwissen, dass ich gerade gewonnen habe, vermute ich, dass Martin den Begriff beckmesserisch wählt, um zu zeigen, dass es hinter der Rettung eines Kindes möglicherweise egoistische Motive geben könnte. Diese egoistischen Motive mag es zwar geben, sie spielen jedoch in diesem Fall keine Rolle. Angesichts der Rettung eines Kindes vor dem Tod bei Einsatz des eigenen Lebens verbietet sich jede Kritik an dem Retter. Sie ist theoretischer Natur, sie ist kleinlich und wird der Realität nicht gerecht. Die Motive, des Retters zu kritisieren, ohne selbst ein Kind in einer vergleichbaren Situation gerettet zu haben, erinnert an den Meistersänger Beckmesser, der in der Theorie glänzt, der aber versagt, als es darum geht, seine Fähigkeiten in der Praxis unter Beweis zu stellen. Oder anders ausgedrückt: Wer den Retter kritisiert, riskiert selbst ins Feuer der Kritik zu geraten, wenn er in eine ähnliche Situation gerät und nicht in der Lage ist, das Kind zu retten.

Fazit

Obwohl mir die heutige Recherche große Freude bereitet hat und ich wieder einmal etwas gelernt habe, wird es der Begriff nicht in meinen aktiven Wortschatz schaffen.

An dieser Stelle bin ich neugierig: Hast Du schon einmal ein beckmesserisches Verhalten erlebt?

16. Januar 2025
Lesedauer & Kategorie
Schnellnavigation
Buchcover zum Beitrag
Buchcover Martin Bleif: Das Tier in uns. Die biologischen Wurzeln der Menschlichkeit
Werbung

Das Buch, das diesen Beitrag inspiriert hat, habe ich als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Das bedeutet, ich habe das Buch kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen, um darüber zu schreiben.

Schlagwörter
Autor

Buchcover zum Beitrag

Buchcover Martin Bleif: Das Tier in uns. Die biologischen Wurzeln der Menschlichkeit

Schlagwörter

Datum & Autor

16. Januar 2025
Weißt Du, wer Judy Garland war?
Weißt Du, was ein Kondukt ist?

Kommentiere den Beitrag

Was passiert nach Deinem Kommentar?

Nachdem Dein Kommentar durch uns geprüft wurde, wird er freigegeben* und erscheint unter diesem Beitrag zusammen mit dem von Dir angegebenen Namen. Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Sie dient uns an dieser Stelle in erster Linie zum Schutz vor Spam. Wenn Du Deine E-Mail-Adresse nicht hier angeben möchtest, kannst Du den Kommentar auch gern auf einem unserer Social Media Profile posten.

 

*Spam und Kommentare, die nur einen Backlink für die eigene Seite zum Ziel haben, werden einfach gelöscht. Nimm gern Kontakt mit uns auf und lass uns die Möglichkeiten eines Sponsored Post besprechen, wenn Du gern einen thematisch passenden Backlink unter einem bestimmten Beitrag platzieren möchtest.

Diskutiere mit - Beiträge mit den meisten Kommentaren

Nach oben